"Nüsser Ovend": Ein Heimatabend mit wenig Karneval
Mehr Neuss auf der Bühne: Doch das neue Konzept begeisterte nicht alle.
Neuss. Mit „Kamelle us Kölle“, der „Star Revue“ oder närrischen Sitzungen aus Köln und Düsseldorf hielt der Nüsser Ovend schon lange nicht mehr mit. Ein Abend „Für Neusser, von Neussern, über Neusser“ sollte die Wende bringen und die 86. Traditionsveranstaltung ganz frisch präsentieren.
Die Brauchtums- und Karnevalsgesellschaft (BKG) der Heimatfreunde hatte einen Abend mit viel Lokalkolorit und geballter Neusser Kultur versprochen. Das hat die BKG geliefert, doch feierfreudige Karnevalisten wurden enttäuscht. Keine Bands, zu denen man auf den Stühlen hätte tanzen können, und der erste Schunkler brachte das Publikum erst um 23.29 Uhr in Bewegung.
Die Sitzung sollte unverkrampft daherkommen, doch jüngere Besucher sah man in der Stadthalle wenige. Da diesmal kein Kostümmotto vorgegeben war, hatten viele ihr Römergewand oder das Hippie-Outfit vergangener Jahre noch mal aus dem Schrank gekramt. Auf Elferrat und Sitzungspräsident wurde verzichtet, stattdessen moderierten Babsi aus dem Sonnenstudio alias Sabine Leuker und RTL-Mann Dirk Reuter, der seinem weiblichen Konterpart allerdings nicht das Wasser reichen konnte.
Alles fing gut an: Bürgermeister und Schirmherr Herbert Napp stieg als erster in die Bütt und drehte den Spieß um: Während die Büttenrede einst das einfache Volk ermächtigte, die Obrigkeit zu kritisieren, teilte nun das Stadtoberhaupt munter aus. Napp offenbarte das gesellschaftliche Gefälle zwischen den Besucherreihen, erzählte von Frau Koenemann, Herrn Breuer und Herrn Nickel, die sich im Fitnessstudio für den Wahlkampf warmlaufen, und streute ein paar böse Witze ein: „BKG-Präsident Gert Harbaum und Waltraud Beyen? Das ist eine Mischung aus Reichsparteitag und türkischer Hochzeit!“ Es wurde eine geglückte Rede: originell und ironisch.
Napp nahm dem Prologius offenbar den Wind aus den Segeln: Jedenfalls wirkte Christoph Kleinau im weißen Kittel ein wenig lustlos. In seinem Labor versuchte sich der Reimredner an einem Streifzug durch alle politischen Ebenen: Er sprach über den Extremismus im Kleinen, die UWG, und bedauerte, dass der FDP mit Rhode und Köppen zwei Millionen Jahre Erfahrung verloren gehen.
Komisch, frech und herrlich nörgelig ging auch Babsi aus dem Sonnenstudio die Neusser Themen an: „Die Gänsescheiße an der Jröne Meerke? Das ist die größte Biogasanlage im Kreis.“ Natürlich witzelte sie auch über den „Vesuv — ähm, Ätna von Neuss“: „Herr Napp hinterlässt einen sehr großen Aschenbecher. Wenn du im Rathaus den Teer von den Tapeten kratzt, kannste damit die A 57 teeren.“
Einen Sponsor wie bei der ISR wünschte sich Babsi auch für die anderen Schulen und erinnerte, dass der Bunker in Gnadental doch jetzt städtisch sei. Großes Gelächter. Und das neue Möbelhaus? Das sei eine „Kriegerserklärung“ an die Innenstadt.
Junge Schützen zeigten eine tierische Schwarzlichtshow, dann stand mit Benaissa Lamboubal, Weckhovener mit marokkanischen Wurzeln, der nächste Redner an. Sein Bühnenhumor ist nicht unbedingt intellektuell: „Bei uns wachsen die Augenbrauen zusammen. Du musst deine Augenbrauen trennen — das ist Integration“, flachste der Comedian. Viel zu lang war der Auftritt der Nüsser Schnute. Es ging um den Tag nach dem Vogelschuss. Theater op Platt, aufgeführt an falscher Stelle. Funkemariechen, BKG-Dancing Girls und The Fantastic Company konnten nicht überdecken, dass es zu wenig Musik gab. Wo waren „De Räuber“?
Nach dem Heimatlied und dem Auftritt des Prinzenpaars wurde im Foyer bis nach Mitternacht getanzt und geschunkelt — endlich.