Reich durch Flaschen und Dosen — von wegen
Ein Selbstversuch: In zwei Stunden sollte sich doch ein ansehnlicher Sack voller Pfandbehältnisse sammeln lassen — so die Idee. Am Ende stand ein Stundenlohn von acht Cent.
Neuss. Der Mann auf dem Fahrrad ist bestens ausgerüstet. Mehrere dicke Plastiktüten liegen in den aufgespannten Körben, Handschuhe und auch eine Greifzange hat er dabei. „Damit kann man die Flaschen gut aus den Mülleimern fischen“, sagt er mit Schweißperlen auf der Stirn. Als ich merke, dass ich gegen die „Konkurrenz“ chancenlos bin, ist mein Experiment fast beendet. Doch alles der Reihe nach.
Von der Kantstraße aus möchte ich mich langsam über die Innenstadt bis zum Neusser Hauptbahnhof „vorarbeiten“. Mein Plan: In zwei Stunden so viele Pfandflaschen sammeln wie möglich. In den Sommermonaten sehe ich immer wieder Pfandsammler, die säckeweise Flaschen und Dosen von Grill- und Parkwiesen schleppen. Dabei kommt bestimmt eine ordentliche Summe zusammen. Das kann ich auch, denke ich mir selbstbewusst. Ausgestattet bin ich mit einem Jutebeutel und Gummihandschuhen.
Die Voraussetzungen für mein Experiment könnten nicht besser sein. Es ist ein warmer, sonniger Nachmittag. Die Menschen strömen nach dem Feierabend ins Grüne und gönnen sich das ein oder andere Kaltgetränk. Und wo Bier, Cola und Co. getrunken werden, da gibt es auch Pfand-Material — das ich jetzt abgreifen werde! Über die Herbert-Karrenberg-Straße betrete ich mit Euro-Zeichen in den Augen den Stadtgarten. Ich lasse meinen Blick vor allem die Sitzbänke entlang schweifen. Manchmal schaue ich auch in Mülleimern nach, was ich naserümpfend aber sofort bereue. Allerhand unappetitliche Dinge, die teilweise nicht eindeutig zu definieren sind, entdecke ich — aber von Pfandflaschen keine Spur. Erst nach 20 Minuten sehe ich ein zartes Pflänzchen am Horizont der kargen Wüstenlandschaft. Neben einer Bank steht eine leere Altbier-Flasche. Ich schaue mich um, greife zu und packe die Flasche in meinen Beutel. Aktueller Gewinn: acht Cent. Da ist Luft nach oben.
So viel sei verraten: Es sollte die einzige Pfandflasche bleiben, die ich in der ersten Stunde einpacken darf. Mein Problem: Ich werde von im Sonnenlicht aufblitzenden Dosen immer wieder an Mülleimer gelockt. Stolze 25 Cent würde mir eine davon einbringen. Doch sobald ich das Objekt der Begierde rausfische, bemerke ich schon das „Pfandfrei“-Zeichen, das meinen Finanzplan über den Haufen wirft. Zu den Pfand-Fata-Morganas zählen vor allem Energy-Drink-Dosen aus Holland. Die sehen den Deutschen zum Verwechseln ähnlich — Pfand gibt es dafür aber nicht. Ganze acht Mal tappe ich allein in der ersten Stunde in diese Falle.
Bevor ich mich über den Hauptstraßenzug zum Hauptbahnhof begebe — wo ich mir die besten Chancen ausrechne —, mache ich einen Schlenker entlang des Hafenbeckens; dort habe ich häufiger Jugendliche beobachtet, die auf der Treppe „gechillt“ und getrunken haben. Ich komme zu spät. An der Treppe stehen einige Bierflaschen, doch die werden gerade von einem anderen Pfandsammler eingesackt.
Ich spreche ihn an und er zeigt mir sein „Equipment“. Seit vielen Jahren sammele er schon Flaschen und Dosen, um sich etwas dazu zu verdienen. Meist acht Stunden täglich. Seine Tageseinnahmen beziffert er auf „fünf Euro aufwärts“. Mit strahlenden Augen erzählt er von seinem bisher erfreulichsten Sammelerlebnis: Eines Tages war er am Jröne Meerke, wo gerade eine Hochzeit gefeiert wurde. Dort sagte man ihm, er könne die ausgetrunkenen Dosen mitnehmen. Rund 200 Euro hat er am Ende des Tages eingenommen. Ich merke, dass Pfandsammeln in Neuss geregelter abläuft als ich dachte. „Mehrere Leute teilen sich ein Gebiet“, verrät er.
Ich setze meine Suche fort. Am Büchel sehe ich eine alte Dame, die mit blanken Händen in einen Mülleimer greift. Mir wird klar, dass Flaschensammeln für viele Menschen nötig ist, weil sie sonst einfach nicht über die Runden kommen. Ich bin froh, dass die zwei Stunden bald um sind.
Am Hauptbahnhof werde ich nochmals fündig. Neben einem Ticketautomaten steht eine leere 0,5-Liter-Bierflasche, die den Verdienst auf 16 Cent steigen lässt. Im Supermarkt lege ich beide Flaschen in den Pfandautomaten. Aus Interesse schaue ich, was ich mir für 16 Cent hätte leisten können. Das Einzige ist ein Hefewürfel (15 Cent). Ich kaufe ihn nicht, obwohl es wohl keine schlechte Idee wäre. Denn mit der Hefe könnte ich heute vielleicht — anders als beim Pfandsammeln — doch noch etwas gebacken bekommen.