Zahl der Fixierungsfälle in Pflegeheimen deutlich gesunken

Grevenbroich. Ursula Havertz-Derichs hat schon unfassbar viel Leid mit angesehen. Besonders schlimm, sagt sie, sei es immer gewesen, wenn die Person vor ihr das Gefühl hatte, „gefangen“ zu sein. Als Betreuungsrichterin am Amtsgericht Grevenbroich ist die Juristin ständig dort unterwegs, wo Menschen zu alt, zu schwach oder zu krank sind, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

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Wenn sie Entscheidungen trifft, dann geht es dabei um Schutz — vor den Entscheidungen anderer, die Wahrung von (Grund-)Rechten und den größtmöglichen Erhalt von Lebensqualität. Ursula Havertz-Derichs ist es zu verdanken, dass sich die Grevenbroicher Pflegeheime vor drei Jahren geschlossen auf den sogenannten „Werdenfelser Weg“ gemacht haben.

Dahinter steht ein verfahrensrechtlicher Ansatz zur Vermeidung beziehungsweise Reduzierung von freiheitsentziehenden Maßnahmen. In der Regel meint das: Fixierung, also das Fesseln ans Bett. „Wenn Bewohner oder Patienten im Pflegeheim oder im Krankenhaus fixiert werden, dann geschieht das in der Regel zur Vermeidung eines befürchteten Sturzrisikos oder bei Orientierungslosigkeit des Betroffenen — zum Beispiel bei Demenz, also zur Abwehr von Gefahrenrisiken“, sagt Havertz-Derichs. „Dabei stellt die dauerhafte Fixierung selbst eine erhebliche Gefahr da, und das nicht nur möglicherweise, sondern mit Sicherheit.“

2013 hat die Richterin deshalb alle Leiter von mit Pflege und Betreuung befassten Einrichtungen im Gerichtsbezirk Grevenbroich, Jüchen und Rommerskirchen zusammengetrommelt, den Blick auf den erstmals 2007 in Bayern praktizierten „Werdenfelser Weg“ gelenkt und schließlich von seinen Vorteilen überzeugt. Dieser klinkt — anders als das herkömmliche Verfahren — in die richterliche Entscheidung über eine dauerhafte Fixierung einen spezialisierten Verfahrenspfleger, also einen Menschen mit Pflegeerfahrung und einer juristischen Zusatzqualifikation ein. Alle Grevenbroicher Pflegeheime zogen damals mit. „Seither sind die Fallzahlen bei den Fixierungen massiv zurückgegangen“, sagt Havertz-Derichs. „Im Albert-Schweitzer-Haus zum Beispiel tendiert die Zahl derzeit gegen Null.“

Um Bewohner des Seniorenzentrums vor Stürzen zu schützen, wurden dort zum Beispiel Niederflurbetten angeschafft. Böden werden dort mit Matratzen gepolstert und Patienten mit Sturzhelm oder speziellen, an der Hüfte verstärkten Hosen ausgestattet. „Am Ende“, sagt Ursula Havertz-Derichs, „führt das dazu, dass die Menschenwürde gewahrt wird und die Lebensqualität und Angstfreiheit steigt. Aber auch alle anderen Beteiligten profitieren: Der Pflegeverantwortliche etwa wird unter dem Schutz des juristischen Verfahrens von — oft irrationalen — Haftungsängsten befreit, der Richter kann eine Entscheidung treffen, die seinem Selbstverständnis genügt. Früher hatte ich dabei immer ein mulmiges Gefühl — das ist heute nicht mehr so.“