Kino Sam Mendes geht mit „1917“ unter die Haut
Der britische Regisseur setzt auf neue Gesichter und eine revolutionäre Drehtechnik. Golden Globes gab es für das Werk schon, nun ist der Film auch für zehn Oscars nominiert.
Nach zwei Bond-Abenteuern, „Skyfall“ und „Spectre“, hat Sam Mendes nun den wohl persönlichsten Film seiner Laufbahn gedreht. Als Junge lauschte der Brite den Kriegserzählungen seines Großvaters, der in den Schützengräben und Schlachtfeldern das Grauen des Ersten Weltkriegs erlebte. In „1917“ folgt Mendes (54) nun zwei jungen Soldaten bei einer gefährlichen Mission an einem Tag im Frühling des Kriegsjahres 1917.
Zu Fuß sollen sie entlang der deutschen Front das Feindgebiet durchqueren, um einer britischen Division eine lebensrettende Botschaft zu überbringen. Gelingt das nicht, würden 1600 Soldaten in einen Hinterhalt laufen. Die Todesangst und der Horror bei diesem fast unmöglichen Unterfangen ist den Soldaten Blake und Schofield ins Gesicht geschrieben.
Ihr Weg führt durch verkohlte Wüstenkriegslandschaften, über Stacheldrahtverhaue, an aufgedunsenen Leichen von Menschen und Pferden vorbei, auf allen Vieren durch den blutigen Schlamm von Schützengräben. Zwei Stunden lang zerren ihre Erlebnisse an den Nerven des Publikums. Mendes liefert einen aufreibenden Antikriegsfilm, das würdigten kürzlich auch die Juroren bei der Golden-Globe-Verleihung.
Mendes widmet Preis
seinem Großvater
„Diesen Preis widme ich meinem Großvater Alfred Hubert Mendes, der diesen Film inspiriert hat“, sagte der Regisseur in seiner Dankesrede für den Gewinn des Regie-Globes. Mit 17 Jahren sei der Großvater in den Krieg gezogen.
Für bekanntere Schauspieler wie Colin Firth und Benedict Cumberbatch gibt es nur winzige Nebenrollen. Vielmehr verlässt sich Mendes ganz auf die britischen Newcomer George MacKay (27, „Captain Fantastic“) und Dean-Charles Chapman (22, „Game of Thrones“), die beide eine Oscar-reife Leistung zeigen. Ihre Figuren sind mutig, aber keine Helden. Sie stellen sich der Aufgabe, aber zweifeln an sich und an dem Sinn des Krieges. Es gibt nur wenige Schlachtszenen, vielmehr zehrt der andauernde Überlebenskampf an den Nerven. Die jungen Hauptakteure sind quasi in jeder Szene zu sehen.
Mit einer kühnen filmischen Vision zieht Mendes außerdem die Zuschauer mitten ins Geschehen hinein: Der Oscar-Preisträger („American Beauty“) vermittelt die Geschichte im Stil einer One-Shot-Aufnahme, so als wäre alles am Stück und ohne Schnitte gedreht. Die Kamera folgt den Soldaten auf Schritt und Tritt, als wäre man ständig an ihrer Seite. Mal läuft man rückwärts durch enge Schützengräben mit, mal schaut man über ihre Schulter in die ausgebrannte, weite Landschaft. Tatsächlich gibt es nur wenige Schnitte - und die sind kaum zu erkennen.
Die Meisterleistung mit der Kamera hat Roger Deakins vollbracht. 14 Mal war der Brite in seiner langen Karriere für einen Oscar nominiert, etwa für „Fargo“, „No Country for Old Men“ oder „James Bond 007: Skyfall“. Er gewann die Trophäe schließlich 2018 für „Blade Runner 2049“. Viele Einstellungen in „1917“ sind teilweise fast neun Minuten lang, dazu mussten die Szenen vorab perfekt geprobt werden.
Unvergesslich ist eine nächtliche Sequenz, in der Schofield in den rotleuchtenden Ruinen eines brennenden französischen Dorfes um sein Leben rennt. Oder sein verzweifelter Sprint am Rande eines Schützengrabens, aus dem gegnerische Soldaten zum Angriff herausstürmen und den Querläufer fast zu Fall bringen.
20 Jahre nach seinem Oscar-Gewinn für das Filmdrama „American Beauty“ macht Mendes nun mit dem Kriegsfilm in Hollywood Furore. Kurz nach seinem Globe-Sieg wurde der Brite bereits von Hollywoods Regisseuren für den begehrten Preis des DGA-Verbands nominiert. Auch der US-Produzentenverband wählte „1917“ als Trophäenanwärter aus. Der nächste Oscar ist für Mendes zum Greifen nah.