Menschenrechtspreisträger der Tonhalle Die Atmosphäre der Angst

Düsseldorf · Der russische Kriegskritiker Sergej Lukaschewski wird nächster Menschenrechtspreisträger der Tonhalle. Anlässlich der Verleihung dirigiert Adam Fischer Mozart und Haydn.

Vom Westen aus ist das Russland, von dem Sergej Lukaschewski spricht, nicht immer leicht zu erkennen. Der in Berlin im Exil lebende Historiker und Kriegskritiker, der am 28. Januar den Menschenrechtspreis der Tonhalle Düsseldorf entgegennehmen wird, erzählt von einer Tradition der Freiheitsliebe in seinem Heimatland – und von der liberalen Intelligenz, die sich im Moskauer Sacharow-Zentrum zu treffen pflegte.

15 Jahre hat Lukaschewski dieses Museum geleitet, das die Erinnerung an die Opfer politischer Unterdrückung und Verbrechen des Sowjetregimes wachhielt. Es war zugleich ein Kulturzentrum, ein Treffpunkt für alle, die offenen Meinungsaustausch und eine demokratische Gesellschaftsform wünschten. Täglich fanden Vorträge, Lesungen, Diskussionen und andere Veranstaltungen statt.

Damit war im September 2023 Schluss. Die russischen Behörden lösten das Zentrum auf, unter Verweis auf ein Gesetz zu „ausländischen Agenten“. Aber Lukaschewski ist keiner, der leicht aufgibt. Von Deutschland aus versucht er, den Austausch über „Radio Sacharow“ in Gang zu halten. Das russischsprachige Exilmedium versteht sich als Internetradio- und Podcastplattform für alle, die an den Wert geistiger Freiheit glauben. Es arbeitet mit dem Essener Recherchezentrum Correctiv zusammen, das auch eine Redaktion in Berlin hat.

Der 48-Jährige wird der neunte Preisträger der Auszeichnung sein, die Adam Fischer, Chef der Düsseldorfer Symphoniker, ins Leben gerufen hat. Dass er den Preis erhalten soll, erfuhr Lukaschewski von zwei deutschen Journalisten. „Das war eine Überraschung und ist natürlich eine große Ehre für mich. Ich begreife das als Auszeichnung für mein ganzes Team am Sacharow-Zentrum“, sagt er.

Dass Lukaschewski sein Heimatland verließ, lag an einer Verschärfung der Lage Anfang März 2022. Seine Tochter wurde wegen eines Anti-Kriegs-Aufklebers an ihrem Rucksack festgenommen. Sein Sohn musste befürchten, zum Militär einberufen zu werden. Deshalb reiste er über Usbekistan nach Deutschland aus, zusammen mit seiner Frau und drei Kindern.

Nazi-Vergleiche sind nicht immer hilfreich, das gibt Lukaschewski zu. Trotzdem sieht er Parallelen in den gesellschaftlichen Entwicklungen zu damals und dem heutigen Russland: „Ein bestimmter Prozentsatz glaubt der Propaganda, unterstützt den Krieg glühend. Andere laufen mit, ohne groß nachzudenken. Viele wollen mit Politik generell nichts zu tun haben, stecken den Kopf in den Sand. In manchen regt sich Widerstand, aber es gibt eine Atmosphäre der Angst, die alles durchdringt.“

Lukaschewski sagt, dass er sich in Berlin wohlfühlt, auch, weil so viele Nationalitäten in der Stadt vertreten sind. Wenn er auf Ukrainer treffe, sei er aber um Worte verlegen. Obwohl er im Gespräch über seine persönliche Situation gewiss Grund für manche Klage hätte, verzichtet er darauf. Lukaschewski hadert nicht mit seinem Schicksal, sondern berichtet, wägt ab, erzählt.

Nach seinen Wünschen für 2024 befragt, muss er nicht lange überlegen: „Frieden! Ein dauerhafter Frieden, nicht bloß ein Waffenstillstand.“