Besuch bei den Waldbesetzern So ist die Lage im Hambacher Forst
Kerpen. · Die Waldbesetzer bereiten sich mit ausgeklügelten Abwehrsystemen auf eine neue Räumung vor. Ob die kommt, ist vorerst allerdings unklar.
Die Kunststoffseile erstrecken sich von dem Baumhaus in luftiger Höhe sternförmig zu den Bäumen ringsum und sind wiederum miteinander verbunden. Ein gigantisches Spinnennetz, das die Besetzer im Hambacher Forst konstruiert haben. „Es ist stabil, weil alles zusammenhängt“, erklärt eine junge Aktivistin. „Würde man ein Seil kappen, wäre es nicht mehr stabil.“ Eine klare Ansage an die Polizei für den Fall einer weiteren Räumung: Die Seile verhindern, dass Hubsteiger an das Baumhaus herankommen – doch wer sie zertrennt, gefährdet Leben. Das Netz ist Teil der neuen Verteidigungsstrukturen im Wald. Die Braunkohlegegner rechnen jederzeit mit einem erneuten Großeinsatz.
Im Herbst hatte die Polizei 86 Baumhäuser im Forst geräumt – über Wochen und mit einem riesigen Aufgebot an Einsatzkräften. Kaum war die Aktion offiziell beendet, schallten durch den Wald bereits wieder Hammerschläge, inzwischen sind zig neue Baumhäuser entstanden. Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte Mitte Februar dem Innenausschuss des Landtages über fast 1700 Straftaten berichtet, die seit 2015 im Hambacher Forst begangen worden seien – und angekündigt, die Landesregierung wolle erneut räumen lassen: „Der Tag ist mit Händen zu greifen“, warnte er.
Das „Scheißeschmeißen“ ist auch unter den Aktivisten umstritten
Ein Großaufgebot der Polizei und Spezialkräfte zumindest waren schon vor einer Woche erneut im Wald: Bei „Aufräumarbeiten“, so hieß es, sei ein Mitarbeiter des Energiekonzerns RWE von einem Baumhaus aus mit Fäkalien beworfen worden. Die Polizei belagerte die Siedlung „Krähennest“ fast zwei Tage lang, drohte dann an, mit schwerem Gerät anzurücken, um den Mann aus seinem Unterschlupf zu holen, und dazu auch Bäume zu fällen. Schließlich seilte sich der 36-Jährige freiwillig ab – er wurde Ende der Woche aus der Untersuchungshaft entlassen.
Heute ist im „Krähennest“ von der Aufregung jener zwei Tage nicht mehr viel zu spüren. Drei junge Frauen lehnen an der neu aufgebauten Spülstation aus Europaletten vor dem mit Bauzäunen geschützten „Tower“ – einem mehrstöckigen Holzturm zwischen den Bäumen. An dessen Seite baumelt ein Aktivist in einer Hängematte, zwei andere sitzen auf einer großen Schaukel. „Igel“ ist der Einzige, der spontan Lust auf eine Unterhaltung hat. Der 66-Jährige ist vor drei Jahren zum ersten Mal in den „Hambi“ gekommen, seither immer wieder Teil der Waldbewohnerszene. Er weiß, dass diese in der Öffentlichkeit Sympathien einbüßt, wann immer Fäkalienwürfe und gewaltsame Angriffe auf RWE-Mitarbeiter oder Polizisten Schlagzeilen machen. Das „Scheißeschmeißen“, wie er es nennt, sei auch unter den Aktivisten „hoch umstritten“. Allerdings gezieme es sich in der Basisdemokratie des Forstes nicht, individuelle Aktionen anderer zu verurteilen. In der Situation vergangene Woche seien wohl die Emotionen mit dem 36-Jährigen durchgegangen: Ein Baggerfahrer habe den Greifer seines Baugeräts auf die Spülstation vor dem Tower krachen lassen und diese zerstört, den Greifer dann knapp vor den Baumhausbewohnern auf ihrem „Balkon“ vorbeigeschwenkt. Es habe bedrohlich gewirkt. „Da setzt es bei manchen aus“, erkärt „Igel“.
Den Aktivisten sei zuvor mitgeteilt worden, RWE wolle Flucht- und Rettungswege freihalten und „waldfremdes Material“ entfernen, berichtet der 66-Jährige. Er vermutet, man traue sich an die Baumhäuser noch nicht heran. „Also macht man die kleine Lösung und zerstört unsere Bodenstrukturen.“ Auch im „Krähennest“ schützt ein großes Netz die Baumhäuser in bis zu 14 Metern Höhe. „Die Räumung wird damit nicht verhindert“, sagt „Igel“ pragmatisch. Aber sie werde langwieriger und schwieriger. Eine weitere Konsequenz aus dem Herbst sei gewesen, „Besetzungsstrukturen zu reduzieren“ – sprich: Weniger große Baumhausdörfer, die in einem Rutsch, aber immer mit einer kleinen Rodung geräumt werden können, mehr kleine, verstreute Siedlungen.
Die Dörfer sind sichtbar mit Feuerlöschern ausgestattet
Das Fort Knox dieser Siedlungen ist „Endor“: ein großer Tower umgeben von mit Natodraht umwickelten Bauzäunen, daneben ein großes Zelt, drumherum eine zwei Meter hohe Mauer aus Totholz, Stacheldraht, Europaletten und allem, was die Bewohner sonst noch finden konnten. In der kleinen Küche vor dem Wigwam aus Plastikplanen hängt ein Feuerlöscher. „Es ist auch einer auf jeder Etage des Towers“, sagt einer der Aktivisten.
Zumindest in Sachen Brandschutz – eines der Argumente für die rigorose Waldräumung im September – will man den Aufsichtsbehörden keinen Anlass für eine erneute Räumaktion geben.
Von erhöhter Alarmbereitschaft ist nichts zu spüren
Doch von erhöhter Alarmbereitschaft nach den Vorgängen im „Krähennest“ ist ohnehin nichts zu spüren. Im Zelt flackert ein Lagerfeuer, die Nudeln im Topf darüber sind gerade al dente und werden auf die Teller der im Kreis sitzenden „Endor“-Bewohner geschüttet. Einzig neben dem Eingang hängt eine Gemeinschaftstüte mit der Aufschrift „Vermummung“. Falls doch Polizei kommt. Oder Presse. Eine junge Waldbewohnerin mit schwarzem Tuch über Mund und Nase geht vorüber, ihr Grinsen ist nur an den Augen abzulesen: „Vermummung kann man immer tragen“, raunt sie und geht zu Tisch.
Überhaupt habe man Polizei in „Endor“ zuletzt eine Woche nach der Herbsträumung in größerer Zahl gesehen. „Seither sind sie höchstens einmal außen rumgelaufen und waren wieder weg“, berichtet ein junger Mann mit Palästinenserschal um den Kopf. Auch aus dem „Krähennest“ ist die Polizei samt SEK vor einer Woche wie versprochen abgerückt, nachdem sich der Fäkalienwerfer gestellt hatte. „Wir hatten unsere Zweifel und waren dann sehr erstaunt“, sagt „Igel“. Immerhin hätten bereits zwei Hubsteiger bereitgestanden.
Trotzdem weiß auch er: „Eine Räumung ist jederzeit möglich.“ Und fügt hinzu: „Darauf sind wir eingestellt!“ Auf Nachfrage im Innenministerium indes heißt es, konkret stehe nichts an. Man werde Straftaten im Wald konsequent verfolgen – aber die Entscheidung über eine etwaige Räumung obliege der Bauaufsicht in Kerpen.