Herr Dr. Reiter, am Mittwoch kommt es im Loveparade-Prozess zum mit Spannung erwarteten sogenannten Rechtsgespräch zwischen Gericht, Staatsanwälten, Verteidigern und Nebenkläger-Anwälten. Was ist die Bedeutung eines solchen Rechtsgesprächs, passt das überhaupt zum Strafprozess, der doch öffentlich sein soll?
Beteiligte treffen sich zum „Rechtsgespräch“ Loveparade-Prozess vor baldigem Ende?
Düsseldorf · Am Mittwoch führen die Beteiligten ein „Rechtsgespräch“. Über Hintergründe und mögliche Folgen sprachen wir mit Opferanwalt Julius Reiter.
Am Mittwoch könnten die Weichen im Prozess um die Loveparade-Katastrophe vor dem Landgericht Duisburg neu gestellt werden. In einem sogenannten Rechtsgespräch beraten die Verfahrensbeteiligten über den Fortgang des Verfahrens, auch über eine mögliche Verfahrenseinstellung. Der Vorsitzende Richter Mario Plein wird das Ergebnis dieses Rechtsgesprächs dann am Donnerstag im Gerichtssaal – das Landgericht Duisburg verhandelt aus Platzgründen in einem Kongresssaal der Düsseldorfer Messe – mitteilen. Im Gespräch mit dieser Zeitung sagt Rechtsanwalt Julius Reiter, was er von dem Rechtsgespräch erwartet. Die Düsseldorfer Kanzlei Baum, Reiter & Collegen vertritt 80 Verletzte des Unglücks beziehungsweise deren Angehörige. Im Strafprozess vertritt Reiter zwölf der mehr als 50 Nebenkläger.
Julius Reiter: Ein solches Rechtsgespräch ist die Erörterung des Verfahrensstandes mit den Verfahrensbeteiligten. Alltag im Strafprozess ist es sicherlich nicht. In diesem umfangreichen Strafprozess ergibt ein Rechtsgespräch aber durchaus Sinn. Wir werden zum Beispiel erfahren, wie die Richter den bisherigen Prozessverlauf einschätzen und die Ergiebigkeit der Zeugenaussagen bewerten. Es geht nicht darum, die Öffentlichkeit auszuschließen, sondern im Fachgespräch eine Bestandsaufnahme des bisherigen Prozessverlaufs vorzunehmen. Das Öffentlichkeitsprinzip wird im Übrigen gewahrt, weil das Gericht schon am nächsten Tag über die wesentlichen Inhalte des Gesprächs informiert.
Ist es gut, zu diesem Zeitpunkt ein solches Rechtsgespräch zu führen?
Reiter: Ja, der Prozess läuft jetzt rund ein Jahr und wir haben die sogenannten „Alpha-Zeugen“ gehört. In etwa anderthalb Jahren steht die absolute Verjährung an. Da macht es für alle Verfahrensbeteiligten Sinn, dass sie eine Einschätzung der Kammer erhalten, wie sie den aktuellen Stand des Verfahrens nach der bisherigen Beweisaufnahme beurteilt. Außerdem werden wir uns über den möglichen Fortgang des Verfahrens austauschen können, zum Beispiel über den geplanten Zeitablauf oder welche Zeugen noch gehört werden sollten.
Nun könnte es sein, dass sich die Verfahrensbeteiligten auf eine Einstellung des Verfahrens, gegebenenfalls gegen Auflagen, einigen. Wäre es sachgerecht, den Prozess, auf den die Angehörigen so lange gewartet haben und der nun schon so lange dauert, einzustellen? Wäre nicht ein Urteil, auch wenn es ein Freispruch wäre, eine hier angemessenere Beendigung?
Reiter: Entscheidend für alle Angehörigen und Verletzte war, dass der Prozess überhaupt stattfindet, so dass es zu einer Aufarbeitung des Sachverhaltes kommen konnte. Eine Entscheidung des Gerichts wäre sicher sachgerecht – dann ist im Einzelfall jedoch auch ein Freispruch denkbar.
Hat aus Ihrer Sicht der Prozess bislang zu Aufklärung geführt?
Reiter: Ja, auf jeden Fall. Vieles ist zwar aus den Akten bekannt. Dennoch gab es hinsichtlich verschiedener Zusammenhänge auch Aufklärung, unter anderem durch das vorbereitende Gutachten.
Welche genau?
Reiter: Ich nenne nur einige Beispiele: Die eine Hand wusste nicht was die andere macht; Viele der für die Planung Verantwortlichen wie Veranstalter, Bauamt oder Polizei sahen nur ihren Zuständigkeitsbereich. Es gab keine konstruktive Zusammenarbeit zwischen den Institutionen. Im Interesse der medialen Aufmerksamkeit (erwartete Besucherzahlen) wurden realistische Zahlen teils auch den Behörden verschwiegen beziehungsweise nur ungern genannt. Um keine negativen Stimmen im Vorfeld laut werden zu lassen, beauftragte man Prof. Dr. Schreckenberg. Auch nach seiner Zeugenvernehmung fragt man sich, was er wirklich für sein Honorar von 20 000 Euro getan hat. Auf der anderen Seite war diese Summe dann beispielsweise für Lautsprecheranlagen nicht da. Sicherheitsinteressen wurden untergeordnet, weil nicht richtig zusammengearbeitet wurde. Aus Erfahrung der vergangenen Loveparade-Veranstaltungen wurde das Augenmerk der Besuchersteuerung seitens der Stadt insbesondere auf den Hauptbahnhof am Veranstaltungsende gelegt, anstatt auf die Engstelle Tunnel/Rampe.
Hat die bisherige Aufarbeitung Ihren Mandanten geholfen?
Reiter: Selbstverständlich. Für unsere Mandanten ist es wichtig, dass die Verstorbenen nicht in Vergessenheit geraten. Auch für die Verletzten ist es wichtig, dass die Geschehnisse aufgearbeitet werden, um hoffentlich irgendwann einen Abschluss mit diesen schrecklichen Erlebnissen finden zu können. Dennoch kann ich sehr gut verstehen, dass unsere Mandanten teilweise wütend sind, wenn ein Teil der Zeugen gerade bei den wichtigen Aspekten verdächtig große Erinnerungslücken haben. Wichtig war es auch, dass sich die Köpfe der Veranstaltung (Veranstalter Schaller, Ex-Oberbürgermeister Sauerland, Ex-Ordnungsdezernent Rabe), wenn auch nur als Zeugen, den Fragen des Gerichts und der Nebenkläger stellen mussten.
Könnten Sie Ihren Mandanten eine mögliche Einstellung des Verfahrens erklären?
Reiter: Sicherlich können wir rechtlich gesehen unseren Mandanten eine Einstellung erklären. Ob auf emotionaler Ebene Verständnis besteht, steht auf einem anderen Blatt.
Was würde eine Einstellung des Verfahrens für eine mögliche Entschädigung der Opfer bedeuten und kann das eventuell auch Teil des Rechtsgesprächs sein?
Reiter: Solange gerichtlich festgestellt wird, dass eine beteiligte Organisation beziehungsweise Institution verantwortlich ist, reicht dies für die zivilrechtliche Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen aus.
War es ein Fehler, die Polizei nicht anzuklagen? Und hätte eine gerichtliche Feststellung, dass dies falsch war, eine praktische Bedeutung?
Reiter: Viele konnten von vornherein nicht nachvollziehen, dass das Handeln der Polizei als strafrechtlich nicht relevant angesehen wurde. Sollte das Gericht feststellen, dass die Polizei mitverantwortlich für die Katastrophe war, wäre dies im Nachgang zumindest die Grundlage für Schadensersatzprozesse gegen das Land.
Wenn das Verfahren noch weiter laufen sollte, könnte dann auch der bisher nicht angehörte Ex-Innenminister Ralf Jäger als oberster Chef der NRW-Polizei als Zeuge geladen werden?
Reiter: Ja, das ist durchaus möglich. Aufgrund des politischen Drucks, die Veranstaltung durchzuführen, halten sich die Zeugen bislang jedoch sehr bedeckt.