Katastrophe Warum das Gericht den Loveparade-Prozess einstellen will

Düsseldorf · Der Vorsitzende Richter des Loveparade-Prozesses zeigte sich am Donnerstag unbeeindruckt vom negativen öffentlichen Echo ob der urteilslosen Einstellung. Zwei Stunden lang fasste Plein seine Argumente und die Reaktionen aus dem Rechtsgespräch zusammen.

Mario Plein, der Vorsitzende Richter am Landgericht Duisburg. Er leitet den Loveparade-Prozess, der wegen der zahlreichen Beteiligten in einem Kongresssaal der Düsseldorfer Messe stattfindet.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Dass das Landgericht Duisburg den Strafprozess um die Loveparade-Katastrophe 2010 in Duisburg mit 21 Toten und Hunderten Verletzten per Einstellung beenden möchte, war schon am Mittwoch durchgesickert. Anwälte hatten Inhalte aus dem stundenlangen Rechtsgespräch ausgeplaudert, das sie mit Gericht und Staatsanwälten über den weiteren Verfahrensgang des seit knapp 13 Monaten dauernden Prozesses geführt hatten. Einen ausführlichen Bericht über den Verlauf des Rechtsgesprächs gab der Vorsitzende Richter Mario Plein dann am Donnerstag im Gerichtssaal. Und zeigte sich unbeeindruckt vom negativen öffentlichen Echo, das der bekannt gewordene Vorstoß nach sich gezogen hatte. Zwei Stunden lang begründete Plein, warum er eine Einstellung des Verfahrens will, und fasste zusammen, wie die anderen Verfahrensbeteiligten (25 Verteidiger, 30 Anwälte der Nebenkläger, drei Staatsanwälte) in dem Rechtsgespräch darauf reagierten.

Einstellung des Verfahrens – zwei mögliche Wege

Normalerweise endet ein Strafprozess per Urteil: Strafe oder Freispruch. Zwei Paragrafen der Strafprozessordnung ermöglichen aber eine vorzeitige Beendigung des Verfahrens: Entweder nach § 153 ohne weitere Konsequenzen für die Angeklagten. Voraussetzung ist, dass die Schuld als gering einzuschätzen wäre und kein öffentliches Interesse an der (weiteren) Strafverfolgung besteht. Oder aber nach § 153a: Bei einer bloß mittleren, nicht aber einer „Schwere der Schuld“ müssten die Angeklagten eine vom Gericht festzusetzende Geldauflage bezahlen. Beide Einstellungsparagrafen funktionieren aber nur, wenn sich Gericht, Staatsanwaltschaft und Angeklagte einig sind. Die Nebenkläger, Opfer und Hinterbliebene, können eine solche Einstellung nicht verhindern.

Wie das Gericht seinen Vorschlag begründet

Das Gericht hält beide Wege, Einstellung mit oder ohne Auflage, für denkbar. Auch sei möglich, dass gegen einige der zehn Angeklagten aus der Verwaltung der Stadt Duisburg und vom Loveparade-Veranstalter der eine, für andere der andere Weg in Frage komme – je nach Grad der angenommenen Schuld. Zwar bestehe weiterhin eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass den Angeklagten die ihnen vorgeworfene Tat, nämlich Fehler bei der Planung der Loveparade, nachgewiesen werde, sagte Plein. Doch das Maß der Schuld bemesse sich eben nicht nur an den Tatfolgen, auch wenn diese hier außergewöhnlich schwer gewesen seien. Es sei auch zu berücksichtigen, dass es 2010 keine klaren gesetzlichen und organisatorischen Vorgaben für die Planung einer derartigen Großveranstaltung gab. Erst nach dem Unglück sei auch in der Landespolitik eine Projektgruppe eingesetzt worden, die derartige Fragen bearbeitete. In dieser unsicheren Lage hätten sich die Angeklagten intensiv bemüht, die Veranstaltung aus ihrer Sicht sicher zu gestalten.

Auch sei an der Planung und der Durchführung der Veranstaltung eine Vielzahl anderer Personen beteiligt gewesen, aus Verwaltung, Feuerwehr und Polizei. Nicht nur bei der Planung, auch am Tag der Loveparade könne es zum kollektiven Versagen gekommen sein. Etwa durch nicht sachgemäß eingerichtete Polizeiketten. Plein spricht von einem „multikausalen Geschehen“. Was wiederum mindernden Einfluss auf die die Angeklagten treffende Schuld haben könne.

Es müsse bedacht werden, dass das Verfahren Ende Juli 2020 wegen Verjährung eingestellt werden müsste. Die Zeit könnte nicht reichen. Plein spricht davon, dass neben den bereits 59 vernommenen Zeugen Hunderte weitere geladen werden könnten.

Die Reaktion von Verteidigern, Anklägern und Nebenklägern

Die Verteidiger signalisierten in dem Rechtsgespräch, dass sie den Weg mitgehen – aber nur den nach § 153, also eine Einstellung ohne Auflage. Die Staatsanwaltschaft erklärte, dass sie den Vorschlag des Gerichts eingehend prüfen werde.

Die Anwälte der Nebenkläger, die freilich kein Vetorecht haben, befürworten zum Teil eine Einstellung des Prozesses, weil dieser bereits viel Aufklärung gebracht habe, andererseits aber die Gefahr drohe, dass er in die Verjährung laufe. Andere plädieren für eine Fortsetzung. Angesichts der vielen Toten könne von geringer Schuld nicht die Rede sein. Aus Gründen der Generalprävention (Verhindern ähnlicher Fälle) bestehe ein öffentliches Interesse am Weiterverhandeln, schließlich verfolgten Veranstalter in ganz Deutschland den Prozess. Andere Nebenkläger pochen darauf, dass eine Einstellung so formuliert sein müsse, dass sie Rechtsgrundlage für das Geltendmachen von Schmerzensgeldansprüchen sei.

Staatsanwaltschaft und Verteidiger müssen nun bis zum 5. Februar entscheiden, ob und welchen Weg der Einstellung sie mitgehen möchten.