Loveparade-Prozess Loveparade: Warnung vor „Justizskandal“
Düsseldorf · Die Anwälte der Nebenkläger bitten Justizminister Biesenbach um Hilfe. Er soll Staatsanwälte anweisen, einer Einstellung des Verfahrens nicht zuzustimmen.
Ein solcher Hilferuf erreicht einen Justizminister nicht alle Tage: Peter Biesenbach (CDU) wird in einem eindringlich formulierten Schreiben von einigen Anwälten der Nebenkläger des Loveparade-Prozesses aufgefordert, per ministerieller Weisung auf die Anklagevertreter einzuwirken. Der nordrhein-westfälische Justizminister soll die Staatsanwälte daran hindern, einer von den Nebenklägern befürchteten Einstellung des Strafprozesses zuzustimmen.
Die neun Juristen, die den dieser Zeitung vorliegenden Brandbrief unterzeichnet haben, vertreten einige der insgesamt etwa 60 Nebenkläger in dem Großverfahren. Die Nebenkläger sind Angehörige von bei der Katastrophe zu Tode Gekommenen oder auch selbst Verletzte. Ein Nebenkläger hat nach dem Strafprozessrecht ein Recht auf ständige Anwesenheit in der Hauptverhandlung. Er beziehungsweise sein Anwalt darf Zeugen und Angeklagte befragen, Beweisanträge stellen und Akteneinsicht nehmen. Nebenkläger haben damit eine Art Kontrollfunktion. Sie schauen der Staatsanwaltschaft gewissermaßen auf die Finger.
Im „Rechtsgespräch“ könnte Prozess-Ende vereinbart werden
Dass die Ankläger ihre Arbeit in diesem Fall möglicherweise nicht richtig machen – eben das befürchten die Nebenkläger, die jetzt den Justizminister einschalten möchten. Sie argumentieren: Der Vorsitzende Richter des Landgerichts Duisburg habe mehrfach bekundet, im kommenden Frühjahr mit Staatsanwälten, Verteidigern und Nebenklagevertretern ein sogenanntes Rechtsgespräch führen zu wollen. Mit dem Ziel, „das Verfahren konsensual einer finalen Erledigung zuzuführen“. Zwar werde die Nebenklage bei einem solchen Rechtsgespräch angehört, könne eine Verfahrenseinstellung aber nicht verhindern.
Die Nebenkläger-Anwälte appellieren daher an Justizminister Biesenbach: „Würde das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft das Verfahren durch Einstellung beenden, so wäre in der traurigen und skandalreichen Geschichte der Loveparade 2010 der Schlusspunkt auch noch mit einem ausgewachsenen Justizskandal gesetzt.“ Dem Rechtsfrieden könne ausschließlich durch eine maximal mögliche Aufklärung Rechnung getragen werden. Selbst wenn am Ende der Verjährungseintritt das Gericht am Erlass eines Sach-Urteils hindern sollte, so müsse sich danach zumindest niemand den Vorwurf gefallen lassen, nicht das Möglichste an Aufklärung geleistet zu haben. Eine Beendigung der Aufklärungsbemühungen durch freiwillige Einstellung des Verfahrens könne kein Bürger nachvollziehen. In Deutschland nicht und erst recht nicht in den weiteren Staaten, deren Bürger bei der Loveparade zu Tode kamen. Es gab Opfer aus China, Italien, Spanien, den Niederlanden und Australien.
Nun wird freilich seit vielen Monaten intensive Aufklärungsarbeit geleistet. 68 Verhandlungstage gab es bereits seit Prozessbeginn im Dezember 2017. Jeder Verhandlungstag in dem zum Gerichtssaal umgebauten Saal der Düsseldorf Messe, in den das Landgericht Duisburg den Prozess aus Platzgründen verlegt hat, kostet etwa 29 000 Euro. Bis zum kommenden Frühjahr, wenn es nach Angaben der Nebenkläger-Anwälte zu dem Rechtsgespräch kommen soll, wird es noch viele Verhandlungstage geben. Und weiter Aufklärung betrieben.
Immer wieder drängt sich im bisherigen Prozessverlauf der Eindruck auf, dass zwar nicht die Falschen auf der Anklagebank sitzen (Planer der Stadt Duisburg und des Loveparade-Veranstalters). Dass aber auch andere wegen Verjährung nicht mehr Anzuklagende, zum Beispiel aus den Reihen der Polizei, einen Teil der Schuld tragen könnten. Auch, dass Vorgesetzte der Angeklagten (der Ex-Oberbürgermeister von Duisburg und der Chef des Loveparade-Veranstalters) nicht angeklagt sind, könnte am Ende die Verantwortlichkeit der Angeklagten relativieren – darauf setzen die Verteidiger.
Dass die Nebenkläger-Anwälte sich nun an den Justizminister wenden, hat etwas damit zu tun, dass die Staatsanwaltschaft eine hierarchische Behörde ist, an deren Spitze der Minister steht. Die Schreiber des Brandbriefs gestehen zu, dass ministerielle Weisungen eine Ausnahme sein müssten. Doch was sie verlangen, stelle am Ende gar keine Einmischung des Ministers in die inhaltliche Arbeit der Staatsanwälte dar. Die begehrte Weisung ebne lediglich den Weg, weiter Aufklärung betreiben zu können und das Verfahren mit einem gerichtlichen Urteil zu beenden.
Wie Peter Biesenbach die Sache sieht und wie er reagieren wird, ist offen. Auf Nachfrage hieß es am Freitag aus dem Justizministerium, eine Beantwortung des Schreibens der Nebenkläger sei in Bearbeitung.