In seiner Herbstschau zeigt das Museum Folkwang in Essen italienische Malerei der 1920er Jahre. Essen entdeckt den Magischen Realismus

Essen. · Das Folkwang Museum beleuchtet die italienische Malerei der 1920er Jahre. Die verlockend schönen Bilder artikulieren Gefühle der Melancholie.

Ubaldo Oppi malt seine Frau 1921 im Jahr der Hochzeit vor venezianischer Kulisse.

Foto: Folkwang

Das Folkwang Museum feiert den Magischen Realismus, eine Stilrichtung der klassischen Moderne in Italien nach dem Ersten Weltkrieg. Sie führt zu Bildern von „verstörender Schönheit, schlichter Eleganz und vollendeter Form“, wie es die Kuratorin Anna Fricke nennt.

Mit der Rückkehr der Maler zur Frührenaissance entsteht auf den Leinwänden eine Farbkultur, die den Betrachter angesichts von 80 Meisterwerken in Atem hält. Doch trotz der makellosen Maltechnik, des Spiels von Licht und Schatten, der Raffinesse in der Perspektive und der Eleganz in den Porträts ist es eine Kunst im Zeitalter des Faschismus. Belito Mussolini regiert von 1922 bis 1943.

Die Sehnsucht der Maler nach Ordnung und Unversehrtheit

Es herrscht eine nicht ganz auslotbare Stimmung in den Bildern, geboren aus der Sehnsucht der Maler nach einer neuen Ordnung und Unversehrtheit, die die Wirren des Ersten Weltkriegs vergessen lassen soll. Passé ist die Avantgarde, sind Futurismus und Expressionismus, Ready-made und Konstruktivismus. Die Porträts schließen die Augen vor der Zukunft und verharren wie angewurzelt in einer merkwürdigen Leere.

Während die parallel in Deutschland verlaufende Neue Sachlichkeit bis zum Beginn des Pseudorealismus im Dritten Reich die Gesellschaft im Blick hat, geht es hier um Figuren wie aus einer anderen Welt.

Den Auftakt machen Giorgio de Chirico und Carlo Carrà mit ihrer „Pittura metafisica“. Die Einsamkeit ist Trumpf. Der Platz mit der Arkadenarchitektur führt in weite Ferne, die Stadt ist unbewohnt. Es gibt einen gewissen Realismus, aber er irritiert, denn er lässt sich kaum verankern.

Genial ist Ubaldo Oppids „Frau des Künstlers vor venezianischer Kulisse“. Die frisch angetraute Dehly erscheint im blaugrünen Art-Deco-Kleid, dessen Fransen minuziös wiedergegeben sind. Die schlanke Grazie stützt die eine Hand mit den kostbaren Ringen auf eine Brüstung, während sie die andere Hand an der Taille hält. Wie weggetreten steht sie vor dem dunklen Wasser am Canal Grande vor San Marco. Ein Vorhang zur Linken wirkt wie das modische Zubehör einer Königin. Wäre nicht das eisige Licht, das sie umgibt.

Antonio Donghis „Frau im Café“, mit Kurzhaar und Käppchen ein Sinnbild der 1920er Jahre, bildet mit ihren Armen einen harmonischen Kreis. Die Weinflasche im Hintergrund macht nicht den Eindruck, als ob die Frau auch nur einen einzigen Schluck daraus getrunken hat.

80 Höhepunkte der Malerei sind zu bewundern, eines schöner als das andere. In wunderbaren Valeurs sind die Farben abgetönt. Felice Casoratis „Silvana Cenni“ thront geradezu auf ihrem Stuhl, die Augen geschlossen, in klassisches Weiß gehüllt Seine „Cynthia“ hält sogar die Hand aufs Herz, als gehe es um die große Liebe, die man ihr vor lauter kalkulierter Akkuratesse allerdings nicht glaubt. Die realistische Genauigkeit und die magische Atmosphäre führen zu einem verwirrenden Gefühl des Zaubers beim Betrachter.

Die Wirklichkeit wird zitiert und zugleich entrückt. Äußerst genau ist der kleine Lockenkopf der „Liliane“ von Cagnaccio di San Pietro wiedergegeben. Das Kindchen hat den Finger im Mund, aber es bleibt eingezwängt in seinen Holzstuhl.

Der Schleier über den Bildern im aufkommenden Faschismus

Ein Spaziergang durch Arkadien ist dies, wenn es um die Farben geht, aber es ist eine Gratwanderung durch die Leere, in der die Alltagswirklichkeit wie erfroren erscheint. Der junge Tennisspieler des Carlo Carrà, der in gewisser Weise sogar den magischen Realismus vorwegnimmt, steht in einer Box, den Schläger in der Hand, zur Salzsäule erstarrt.

Die Schüler des Felice Casorati scheinen selbst zur mathematischen Formel zu werden, beäugt von einer ängstlichen Lehrerin. Das Kind vor dem Spiegel, mit den Noten von Beethoven zur Seite, wird keinen einzigen Ton herausbringen. Dieser Nachwuchs ist stumm, ihm wohnt kein Feuer inne.

Trotz melancholischer Stille faszinieren die Werke durch ihre Farben, das geisterhafte Weiß im „Verbannten“ des Arturo Nathan, die warmen Brauntöne im Bild der Wäscherinnen oder die kecken Violetts in den Hosenbeinen des „Jongleurs“, beides von Antonio Donghi.

Peter Gorschlüter, der frisch gekürte Museumschef im „Folkwang“, nennt die Rätselhaftigkeit als wichtiges Indiz dieser klassischen Kunst. „Es ist, als ob sich ein Schleier über die Bilder legt“, meint er mit Blick auf die Stimmung im aufkommenden Faschismus. Es gibt keinen genauen Zeitpunkt für das Ende dieses Stils, zumal die Faschisten den Magischen Realismus lange tolerieren, bis in den 1930er Jahren die politische Ideologie überhand nimmt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg aber will niemand mehr von derlei Stimmungsbildern der 1920er Jahren etwas wissen. Erst 1980 ist es Pontus Hulten, der im Centre Pompidou das Kunstschaffen in der Weimarer Republik und in Italien in den 1920er Jahren wiederentdeckt. In Deutschland wird erst jetzt mit „Unheimlich real“ das Schweigen gebrochen.

Ein Wort noch zum Katalog im Hirmer-Verlag. Er gibt eine gewissenhafte Analyse der Zeit, mit Vergleichen zur Neuen Sachlichkeit und zur Gruppe des Novecento, deren Kunst im Idealismus erstarrt. Es ist das Ende einer Entwicklung, die für viele deutsche Maler auf dem Scheiterhaufen der „entarteten Kunst“ endet.

Die verstörende Schönheit der Bilder war ein Abgesang. Sie vermochte die Welt nicht vor der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs mit den millionenfachen Toten zu retten.