Vor der Premiere von „Moby Dick“ im Schauspielhaus „Robert Wilson beleuchtet einen bis zur Schmerzgrenze“

Düsseldorf · „Moby Dick“ in der Inszenierung von Theatermagier Robert Wilson verlangt den Darstellern viel ab. Ein Blick in die Proben vor der Premiere im Schauspielhaus.

 Bei den Proben mit Christopher Nell, Kilian Ponert und Yaroslav Ros (v. l.).

Bei den Proben mit Christopher Nell, Kilian Ponert und Yaroslav Ros (v. l.).

Foto: Lucie Jansch/Dhaus

Kilian Ponert wusste, dass sich Inszenierungen von Robert Wilson immer als Überraschungskiste erweisen. Nun erlebte der Schauspieler zum ersten Mal, wie die Arbeit mit dem amerikanischen Theatermagier abläuft. Der vertraute ihm in „Moby Dick“ die wichtige Rolle des Ismael an. „Ich mag ihn sehr, Ismael ist der, mit dem sich das Publikum verbrüdert“, erzählt Ponert kurz vor der Premiere am Samstag: „Gespannt, was auf mich zukommt, wollte ich die Pferde bei den Proben erst einmal stillhalten. Es war eine hochintensive Zeit, vor allem, wenn man Wilsons Methode, eine Kombination aus Bewegung und Beleuchtung, noch nicht kennt. Die musste ich zunächst begreifen, und ich bin immer noch dabei.“

Ihm sei auch die Aufgabe zugefallen, etwas Heiterkeit in den schweren Stoff zu bringen. „Schon krass von dieser Mannschaft, fünf Jahre auf den Weltmeeren unterwegs zu sein und die friedlichsten Tiere zu töten“, sagt er. Die Romanvorlage von Herman Melville schildert die besessene Jagd von Kapitän Ahab auf einen weißen Wal. Genau den, der ihm einst ein Bein abgerissen hat. Blind vor Rachegelüsten, treibt er seine Mannschaft ins Verderben. Im Buch ist Ismael der einzige Überlebende. Und auf der Bühne? „Mal schauen, wir haben das Ende noch nicht fertig geprobt“, antwortet Ponert und lacht.

Neben ihm sitzt Rosa Enskat, die seit „Der Sandmann“ viel Erfahrung mit dem eigenwilligen Regisseur hat. Als das Raunen nicht aufhörte, sie sei als Kapitän vorgesehen, wehrte sie zunächst energisch ab. Warum sagte sie dann doch zu? „Es kamen Mails von Robert Wilson – was dieser Menschenfänger halt so schreibt, um einen anzulocken. Und wer weiß, ob ich noch einmal die Möglichkeit bekomme, mit ihm zu arbeiten.“

Im Gegensatz zu Ponert hat sie den Roman nicht gelesen. „Ich kümmere mich nicht so sehr um textliche Inhalte“, erklärt sie: „Die Annäherung an eine Figur geschieht bei mir über Maske und Kostüm, weniger über Worte, die ich meist viel zu viel finde. Ich bin ein Freund von fast keinen Worten im Theater. Um das Publikum zu kriegen, brauchst du deine Sinne.“

Anna Calvi komponierte
die Musik für Moby Dick

Aber eine wirkliche Annäherung, korrigiert sie sich, sei bei Wilson auch gar nicht erwünscht: „Bei ihm arbeitet man nicht an seiner Figur. Er stellt einen hin und beleuchtet einen bis zur Schmerzgrenze. Man ringt auch nicht um Formulierungen. Worte begreift er als Töne. Hauptsache, es klingt.“

Wie schon bei früheren Wilson-Inszenierungen hat die britische Pop-Künstlerin Anna Calvi die Musik für „Moby Dick“ komponiert. Wird auch der Kapitän singen? „Ja, er singt“, bestätigt Enskat. „Man hört es an Heiserkeit. Er muss auch leider viel brüllen, das geht auf die Stimmbänder.“

Worin liegt der Reiz, sich diesem Regisseur trotz allem zu unterwerfen? „Für mich ist er einer der letzten großen Künstler, die ihre Visionen umsetzen“, sagt Enskat. „Das ist hart bei den Proben, aber auch wahnsinnig inspirierend.“ Eine Lebensleistung wie die seine sei heutzutage im Theater nicht mehr zu finden. „Er ragt heraus, als Persönlichkeit und Humanist“, verdeutlicht sie: „Nicht mit ihm gearbeitet zu haben, hätte mir etwas weggenommen von meinem Leben.“

Wenig später betritt die Schauspielerin die Bühne im verdunkelten Großen Haus. Langer weißer Mantel, das Holzbein des Kapitäns umhüllt mit schwarzem Leder. Szenenprobe. Im Hintergrund die Projektion der schäumenden See. Ein Wal, der Wasserfontänen ausstößt. Ponert wird ein schlohweißer Zottelbart verpasst. Er nimmt ein Buch in die Hand und deklamiert: „Wundert euch nun noch die feurige Jagd? Wundert ihr euch?“ Bei den anschließenden Sätzen schaltet sich der Regisseur ein: „Das ist eine so düstere Geschichte. Also flirte ruhig ein bisschen mit dem Publikum. Aber nicht gar so süß, wo die Musik schon so süß ist.“ Einen der Songs gibt es zu hören. Zwischen den Strophen intonieren acht Männer wiederholt ein lang gezogenes „Aaaahaaahaaah“. Fabelhaft. Man erfühlt sofort das wogende Meer und das schlingernde Schiff.

Wilsons Anweisungen an die Schauspieler sind unfassbar penibel. „Etwas nach links, nein, nicht so weit, die rechte Schulter nach vorn, wieder zurück, einen Meter Richtung Mast, nein, weniger schräg, dann nach gegenüber, auf Rosa zu und stopp.“ Jeden einzelnen Schritt legt Wilson fest, in einem langsamen, wenn auch präzisen Prozess. Man ahnt, dass dies für die Akteure mitunter Mühsal bedeutet. Wie sollen sie sich all diese Details einprägen?

Nach der Probe wirkt der Regisseur aufgeräumt und gesprächs­bereit. Sofort setzt er zu einer Hymne auf das Schauspielhaus an. „Ich mag es, an diesem Theater zu arbeiten, mit allen Abteilungen gleichermaßen“, sagt er. „Das ist so ein harmonisches Ensemble, mir gefällt die familiäre Atmosphäre.“ Weshalb hatte er Lust, „Moby Dick“ auf die Bühne zu bringen? Diesen Vorschlag hätte ihm Nicolas Bos, CEO der Juwelenschmiede Van Cleef & Arpels, mit der Wilson das Projekt „Dance Reflections“ betreibt, schon vor Jahren gemacht. „Als es dann um eine Neuinszenierung in Düsseldorf ging, nahm ich die Herausforderung an. Die Schwierigkeit ist der bekannte Stoff, ein klassischer Mythos“, sagt er: „Wunderschön geschriebene Literatur, wie sollte ich das besser können? Ich suchte meinen eigenen Weg und erzähle das Abenteuer aus dem Blickwinkel eines Kindes.“

Warum wollte er Enskat als Kapitän? „Weil ich sie liebe. Ich mag Dinge nicht erklären. Deutsche Schauspieler wollen immer sehr viel reden. Rosa nicht. Sie nimmt Anweisungen an und füllt sie aus, ist musikalisch und hat Humor.“