Klimaneutrale Wirtschaft Wasserstoff für die Klimawende - Woher soll er kommen?
Essen/Duisburg · Wird Wasserstoff verbrannt, entsteht nur Wasser als Abfall. Das macht ihn attraktiv für die angestrebte klimafreundliche Produktion. Das Problem: Es wird sehr viel benötigt. Kann das gelingen?
In einem klimaneutralen Wirtschaftssystem soll Wasserstoff eine zentrale Rolle spielen. CO2-neutral erzeugt soll das Gas etwa in neuen Gaskraftwerken Strom erzeugen, wenn nicht genug Wind- und Sonnenstrom da ist. In Hochöfen zur Stahlherstellung soll Wasserstoff anstelle von Koks zum Einsatz kommen und so riesige Mengen Kohlendioxid vermeiden. Benötigt werden große Mengen. Doch woher sollen sie kommen?
Jüngst hatte Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz das Thema angesprochen, als er vor Betriebsräten in Bochum Zweifel an einem zügigen Systemwechsel in der Stahlwirtschaft äußerte. „Ich glaube persönlich nicht daran, dass der schnelle Wechsel hin zum wasserstoffbetriebenen Stahlwerk erfolgreich sein wird. Wo soll der Wasserstoff denn herkommen? Den haben wir nicht“, sagte er.
Pläne für eine starke Ausweitung von Herstellung und Import von Wasserstoff gibt es gleichwohl schon länger. Ein Überblick.
Wird in Deutschland schon jetzt Wasserstoff gebraucht?
Ja, und zwar nicht zu knapp. Verbraucht werden laut Nationaler Wasserstoffstrategie (NWS) jährlich rund 1,65 Millionen Tonnen Wasserstoff mit einem Energiegehalt von rund 55 Terawattstunden vor allem von der chemischen Industrie.
Wie wird er hergestellt?
Gewonnen wird er bisher überwiegend aus Methan, also dem Hauptbestandteil von fossilem Erdgas. Dabei fällt das Treibhausgas Kohlendioxid an. Auf diese Weise hergestellter Wasserstoff wird oft als „grau“ bezeichnet.
Wie viel wird in Zukunft benötigt?
Die jüngste Fassung der Wasserstoffstrategie nimmt für das Jahr 2030 einen zusätzlichen Wasserstoffbedarf zwischen 40 bis 75 Terawattstunden an. Zusammen mit dem aktuellen Bedarf ergibt sich daraus ein Gesamtbedarf von 95 bis 130 Terawattstunden. Enthalten sind darin auch Wasserstoffverbindungen wie beispielsweise Ammoniak oder Methanol.
Energieexpertin Dana Kirchem vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hält den angenommenen Bedarf für plausibel: „Die Bedarfsschätzung für 2030 in der NWS deckt sich mit den Einschätzungen zentraler Szenarienstudien“, sagt sie.
Woher soll dieser Wasserstoff kommen?
Zu einem großen Teil aus dem Ausland. 2030 müssen laut Strategie 50 bis 70 Prozent importiert werden. Der Wasserstoff und die Wasserstoffverbindungen sollen dort produziert werden, wo viel Sonnen- und Windstrom verfügbar ist, etwa auf See oder in sonnenreichen Regionen. Mit Pipelines und Schiffen soll der Wasserstoff dann nach Deutschland kommen.
Der Rest soll im Inland produziert werden, vor allem in großen Anlagen, sogenannten Elektrolyseuren. Darin wird Wasser mit Hilfe von Strom in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Kommen dabei erneuerbare Energien zum Einsatz, wird der Wasserstoff „grün“ genannt. Die NWS nennt als Ziel für das Jahr 2030 Elektrolyseure mit einer Leistung von mindestens 10.000 Megawatt (= 10 Gigawatt).
Wie realistisch ist das Ziel für die heimische Elektrolyse?
Laut Elektrolyse-Monitor sind derzeit knapp 154 Megawatt Elektrolyseleistung installiert. Bis 2030 sind demnach Elektrolyseprojekte mit insgesamt 13.400 Megawatt angekündigt. DIW-Expertin Kirchem nennt das Kapazitätsziel von 10 Gigawatt „ambitioniert“ und sagt: „Wenn alle in Deutschland angedachten Projekte erfolgreich umgesetzt werden, könnte dieses Ziel erreicht werden - dafür müssten aber alle Projekte, die sich bisher lediglich in der Konzeptphase befinden oder bei denen derzeit noch eine Machbarkeitsstudie durchgeführt wird, realisiert werden.“
Für lediglich 1,3 Gigawatt zusätzliche Elektrolyseure gebe es bereits eine finale Investitionsentscheidung oder sie befänden sich im Bau. „Die Realisation von Projekten in der Konzeptions- und Machbarkeitsprüfungsphase ist unsicher“, betont sie. Zudem müsse auch genügend erneuerbarer Strom produziert werden, damit mit der Elektrolyse grüner Wasserstoff produziert werde. „Auch hier muss der Ausbau noch beschleunigt werden.“
Und was ist mit dem geplanten Import?
Beim Import von grünem Wasserstoff besteht laut Kirchem die größte Unsicherheit in Bezug auf die zukünftigen Preise. „Es wurden bereits einige Wasserstoffpartnerschaften geschlossen, es gibt Abkommen mit insgesamt zwölf Ländern und es gibt Absichtserklärungen mehrerer Länder, Elektrolysekapazitäten aufzubauen.“ Es sei allerdings noch sehr unsicher, welche Preise sich auf dem Weltmarkt etablieren.
Sollten auch private Haushalte auf Wasserstoff setzen?
Kirchem ist skeptisch. „Die meisten Studien gehen davon aus, dass grüner Wasserstoff aufgrund anfänglicher Knappheit vor allem in der Industrie eingesetzt wird, um die Prozesse zu dekarbonisieren, bei denen kein grüner Strom genutzt werden kann.“ Endverbraucher, die auf Wasserstoff in Pkw oder Heizungen setzen, setzten sich dem Risiko hoher Preise in der Zukunft aus. „Daher kommt zu den Herausforderungen des Markthochlaufs auch die Aufgabe, dies den Verbrauchern transparent zu vermitteln, um nicht am Ende die Akzeptanz der Rolle des Wasserstoffs in der Energiewende zu gefährden.“
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