Regierungskrise Wie die NRW-Politik auf das Ampel-Aus reagiert

Düsseldorf · Stimmen aus Nordrhein-Westfalen aus Politik und Wirtschaft.

Im Fokus aller Betrachtungen: Bundeskanzler Olaf Scholz (r./SPD) und Christian Lindner (FDP).

Foto: dpa/Christoph Soeder

Auch in der nordrhein-westfälischen Politik hat die Entlassung von Bundesfinanzminister Christian Lindner, das Ampel-Aus und die womöglich nahenden Neuwahlen für viel Aufregung gesorgt. Die zurückgetretenen FDP-Minister und der entlassene Lindner haben beim nordrhein-westfälischen FDP-Chef Henning Höne eher Trotz denn Ärger hervorgerufen. „Deutschlands Abstieg in wirtschaftliches Mittelmaß werden wir niemals akzeptieren“, sagte Höne. „Bundeskanzler Olaf Scholz hat weder die Kraft noch den Mut zu durchgreifenden Wirtschaftsreformen. In dieser Koalition ist die Wirtschaftswende unerreichbar.“ Verantwortung bedeute, auch unbequeme Entscheidungen zu treffen, „wenn es unserem Land dient“, sagte Höne. „Die Freien Demokraten in NRW stehen voll zu den Entscheidungen von Christian Lindner“, Höne beschied dem ehemalige Landtagskollegen „Mut und konsequentes Handeln“.

„Blockaden, Durchstechereien, Kompromisslosigkeit“

Das sehen die Grünen in Nordrhein-westfalen etwas anders. Yazgülü Zeybek und Tim Achtermeyer, Landesvorsitzende der Grünen in NRW, bezeichneten Lindner als „politischen Poker-Spieler“, für das Amt untauglich. Und weiter: „Wir Grüne stehen auch jetzt in dieser Situation zu unserer Verantwortung, innen- wie außenpolitisch.“ Die Fraktionschefinnen Wibke Brems und Verena Schäffer sagte: „Wir haben Respekt davor, wie lange unsere Kolleginnen und Kollegen in Berlin die diversen Foulspiele der FDP ertragen haben, um Verantwortung für Deutschland zu übernehmen. Blockaden, Durchstechereien, Kompromisslosigkeit, plumpe Klientelpolitik, Vereinbarungsdemenz: In ihrer Rolle als Regierungspartei ist die FDP nie richtig angekommen.“ Konkret hätten Lindner und die FDP die überschuldeten Kommunen in Nordrhein-Westfalen um eine gemeinsame Altschuldenlösung gebracht, so die beiden Grünen. Die klaren Worte und die eindeutige Führung des Kanzlers hätten sich beide „deutlich früher“ gewünscht. Die Union im Bund müsse sich nun bei anstehenden Entscheidungen „verantwortungsvoll und konstruktiv verhalten“.

Auch die SPD in NRW lenkt den Spin auf den ehemaligen Bundesfinanzminister. Sarah Philipp und Achim Post, Vorsitzende der NRWSPD, erklärten Lindner habe „die Fliehkräfte der Regierungskoalition mutwillig in Gang“ gesetzt. Seine wirtschaftspolitischen Vorschläge seien „ein Drehbuch für die Flucht aus der Verantwortung“ gewesen. Lindners Politikverständnis sei „der Größe eines Regierungsamtes nicht gewachsen“. Bei den sich anbahnenden Neuwahlen stehe Deutschland vor der Frage, „ob es mit Investitionen in die Zukunft wachsen oder mit einem veralteten wirtschaftspolitischen Verständnis versuchen möchte, sich aus der Krise zu sparen“. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Ingo Schäfer (Remscheid, Solingen, Wuppertal) forderte, den „Ausgleich der Kalten Progression, die Stabilisierung der gesetzlichen Renten, die schnelle Umsetzung der Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und die Sofortmaßnahmen für die Industrie“ noch umzusetzen. Ein Wahlkampf „über die Weihnachtsfeiertage wäre falsch“, so Schäfer. Die nächste Bundestagswahl sei auch eine „Entscheidung über die Schuldenbremse“.

Der Wuppertaler Jürgen Hardt aus der Unions-Bundestagsfraktion hält den Zeitplan von Scholz für einen „untauglichen Versuch, sich als Kanzler bis in den Sommer zu retten“. Hardt sagte: „Wir brauchen jetzt einen politischen Neuanfang und deshalb fordern wir den Bundeskanzler auf, spätestens nächste Woche die Vertrauensfrage im Deutschen Bundestag zu stellen und so den Weg für frühzeitige Neuwahlen freizumachen.“ Andernfalls käme eine neue Bundesregierung frühestens im Mai 2025 zustande. Scholz’Rede habe gezeigt, dass er als Kanzler „ungeeignet“ sei.

Derweil hat Arndt G. Kirchhoff, Präsident von Unternehmer NRW, Lindner gelobt. Olaf Scholz habe die strukturelle Krise des Wirtschaftsstandorts Deutschland konsequent klein geredet. „Die seit langem sehr eindringlich vorgetragenen Warnungen der Wirtschaft hat er immer wieder in den Wind geschlagen.“ Vor diesem Hintergrund sei der aktuelle wirtschaftspolitische Vorstoß Christian Lindners und der FDP richtig und wichtig gewesen. „Wir brauchen in der Tat dringend einen tiefgreifenden wirtschaftspolitischen Kurswechsel. Das gilt insbesondere für die großen fünf Themen: Energiekosten, Steuern, Sozialversicherung, Bürokratie und Infrastruktur“, sagte Kirchhoff.

Schon NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (sie auch Seite „Tagesthemen“) hatte „sofortige Neuwahlen“ in einem Statement am Donnerstag als „Akt der politischen Vernunft“ bezeichnet. Die Ampel habe schweren Schaden hinterlassen „in der Wirtschaft, bei Arbeitnehmern, in der Gesellschaft und der politischen Kultur unseres Landes“.