Serie „Wir müssen alles tun, was dem Frieden dient“
Wuppertal · Als Vorsitzender des Freundeskreises Beer Sheva engagiert sich Arno Gerlach für Versöhnung
Arno Gerlach kommt gerade von den „Invictus Games“ in Düsseldorf, einer Sportveranstaltung für kriegsversehrte Soldaten. Dort besuchte er die israelische Delegation. Zu Israel hat der 82-Jährige eine besondere Beziehung: Er ist Vorsitzender des „Freundeskreises Beer Sheva“, einer Stadt mit 210 000 Einwohnern östlich des Gaza-Streifens. Die Partnerschaft besteht seit 1977, sechs Jahre später kam der Freundeskreis hinzu, der somit in diesem Jahr sein 40-jähriges Bestehen feiert. Am 3. November findet ein Festakt in der Elberfelder Citykirche statt. „Arno Gerlach ist seit Jahrzehnten einer der sozial engagiertesten und um das Gemeinwohl verdienten Wuppertaler“, sagt Journalist Ernst-Andreas Ziegler, der die Städtepartnerschaft mitgestaltete. „Unglaublich, was er geleistet hat und immer noch schafft.“
Das Engagement von Arno Gerlach begann mit einem Zug. Sein Vater war Lokomotivführer zur Zeit des Nationalsozialismus in Königsberg und bekam den Auftrag, einen Güterzug bis an die polnische Grenze zu bringen. Über die Güter, die er transportierte, erfuhr er nichts. Ihm wurde seitens der SS gar verboten, sich einen Überblick über die Waggons zu verschaffen. Als er es an einer Station doch tat, entdeckte er Menschen. Menschen jüdischen Glaubens. In jenem Augenblick wurde ihm bewusst: Der Zug, den er führte, diente der Deportation – wahrscheinlich ins Konzentrationslager nach Auschwitz. Gerlachs Vater weigerte sich, weiterzufahren. „Als Christ wollte er seinen Glauben nicht verraten.“
Es hätte seinen Tod bedeuten können, denn Befehle nicht zu verfolgen, war im Nationalsozialismus undenkbar. „Jahre später sagte mein Vater zu mir: ‚Ich war mir in diesem Moment sicher, dass mich meine Familie nie wiedersehen würde.‘ Doch mein Vater blieb standhaft – und wurde nicht erschossen.“ Und so konnte er seinem Sohn eine Botschaft mitgeben, die Arno fortan in seinem Herzen trug: „Junge, tue alles für den Frieden, die Versöhnung und die Verständigung zwischen Christen und Juden, Deutschland und Israel. Und es ist wichtig, dass du nicht nur davon sprichst, etwas tun zu wollen, sondern du musst es auch tun.“ Bekennen und handeln. „Seit dieser Zeit habe ich das wie ein Vermächtnis empfunden.“
Im Jahr 1977 löste die Initiative des damaligen Oberstadtdirektors Rolf Krumsiek die erste Partnerschaft einer deutschen mit einer israelischen Stadt aus. Doch „eine Partnerschaft ist etwas Offizielles, wie ein Katalog“, sagt Gerlach. „Das Leben der Menschen zwischen den beiden Städten ist dort gut aufgehoben, wo sie unabhängig von politischen Leitlinien agieren können.“ So entstand der Freundeskreis. Seit dessen Gründung war Arno Gerlach fast jedes Jahr in der „Hauptstadt der Wüste“ und zeigt sich beeindruckt von ihrem zukunftsgerichteten Charakter. „Wenn ich dort bin, sehe ich neue Straßen, Einkaufszentren, neue Schulen und Sportstätten; diese Stadt erlebt eine rasante Entwicklung.“
Der Verein förderte Projekte, etwa das größte Gewächshaus Israels, in dem Kakteen gepflanzt werden, die zwischen den Fahrbahnen und auf Plätzen eine neue Heimat finden. Er förderte ein Zentrum für das Brauchtum der Beduinen, Kindergärten sowie ein Seniorenzentrum, in dem Patenschaften mit Studenten gebildet wurden. „Viele der Senioren sind Überlebende des Holocaust.“
Die Schulpartnerschaften
noch weiter ausbauen
Heute konzentriert sich der Freundeskreis besonders auf Schulpartnerschaften. „Wir müssen junge Leute mit dem Thema Antisemitismus in Verbindung bringen“, sagt Gerlach. „Um Vorurteile abzubauen, ist Bildung das Wichtigste, aber sie ist nur dann hilfreich, wenn wir die jungen Menschen zu einer Zeit erreichen, in der sie diese Informationen noch aufnehmen und für sich gewinnbringend einsetzen.“ Dabei geht es um Fragen wie: Was ist Judentum? Welche Traditionen gibt es? Und wie werden sie gelebt und sichtbar? Zu den Teilnehmern gehören unter anderem die Gymnasien Johannes Rau und Bayreuther Straße sowie die Gesamtschulen Pina Bausch und Else Lasker-Schüler. Beim Austausch wohnen die Schüler in den Familien, nehmen am Unterricht teil und lernen die Stadt kennen. „Das Programm läuft so prima, dass wir die Partnerschaften ausbauen wollen.“
Dabei hilft ihm die Zuversicht, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. „Auch das war eine Aussage meines Vaters“, sagt er und wird ganz leise: „Frag nicht danach, ob das, was du tust, irgendwann Früchte trägt. Frag nicht danach, wer die Ernte einbringt. Säe. Wir müssen alles tun, was dem Frieden dient. Alles. Auch wenn es im Augenblick aussichtslos erscheint.“
Im November reist Arno Gerlach wieder nach Beer Sheva. Er wird säen. Wie hoch die Ernte ausfallen wird, hängt nicht von Sonne und Regen ab, sondern vom inneren Licht, das nach außen dringt und andere inspiriert.