Auf Hallas Rücken zum Sporthelden

Der Goldritt von 1956 machte Hans Günter Winkler weltberühmt. So erfolgreich wie er war weltweit kein anderer Springreiter. Jetzt ist der gebürtige Barmer gestorben.

Wuppertal/Warendorf. Der Ritt mit schmerzverzerrtem Gesicht hat Hans Günter Winkler zu einer Legende des Pferdesports gemacht — und sein Pferd Halla weltberühmt. Die kleine Stute trug den verletzten Springreiter 1956 zu olympischem Doppel-Gold. Diese Geschichte musste Winkler immer wieder erzählen — und er tat es sehr gerne und ausführlich. Bis zuletzt, bis kurz vor seinem Tod in der Nacht zum Montag.

Zwei Jahre nach dem Wunder von Bern folgte das Wunder von Stockholm. Der Sieg bei den von Melbourne nach Schweden ausgelagerten olympischen Reiterwettbewerben hatte eine ähnlich historische Dimension wie der WM-Sieg der deutschen Fußballer. Die Geschichte des verletzten Reiters und des treuen Pferdes passte ganz wunderbar zum Mythos des mühevollen Neubeginns nach dem Krieg und zum Wiederaufbau.

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Winkler wurde einer der großen Sporthelden seiner Zeit, weil er sich in der ersten Runde der Einzel- und Mannschafts-Entscheidung so schwer an der Leiste verletzt hatte, dass er eigentlich hätte aufgeben müssen. Er tat es aber nicht. Er setzte sich wieder auf die Stute. Und er ritt trotz starker Schmerzen. Obwohl er Halla beim zweiten Durchgang kaum helfen und durch den Parcours dirigieren konnte, ritt er mit der tapferen Stute ohne Fehler: Deutschland gewann Team-Gold und Winkler auch noch Einzel-Gold.

Hans Günter Winkler über Eisenhowers Angebot, ihn zu adoptieren

„Dieses wunderbare Pferd machte mir die größte Liebeserklärung, indem es am langen Zügel nur begleitet von meinen Schmerzensschreien über jeden Sprung ohne Fehler ging“, lautete eine von Winklers zahlreichen Beschreibungen. Sie schienen mit der Zeit immer blumiger zu werden.

Diese Glorifizierungen des Pferdes mehrten auch seinen eigenen Ruhm. Der mit Ausdauer und Zähigkeit erkämpfte Erfolg machte Winkler zu einer Symbolfigur seiner Zeit. Er prägte die sportliche Geschichte der Nachkriegsjahre, und der Krieg und die Jahre danach prägten ihn. Den Krieg hatte Winkler, der eigentlich Sänger werden wollte, als Flakhelfer überlebt. „Da war die Zeit des Singens vorbei“, sagte er. Sein Vater fiel kurz vor Kriegsende, seine Familie begann bei null. So erzählte er es noch vor zwei Jahren.

Geboren wurde Winkler am 24. Juli 1926 in Barmen, das seit der Stadtgründung 1929 zu Wuppertal gehört. So sagte er zeitlebens auch: „Ich bin Barmer“, hatte ansonsten zu seiner Heimatstadt aber nicht allzu viel Bezug. Sein Vater, der in Barmen Reitlehrer war, zog mit der Familie nach Dortmund, als Hans Günter Winkler sechs Jahre alt war. Später war Winkler in Warendorf heimisch, dessen Ehrenbürger er auch ist. Wuppertal hat ihn dennoch mehrfach geehrt, auch wegen seines Einsatzes für die damalige Polizeireiterstaffel in der Stadt, für deren Erhalt sich Winkler 1993 starkgemacht hatte.

Zu seinem 75. Geburtstag war er der Einladung des damaligen Oberbürgermeisters Hans Kremendahl nach Wuppertal gefolgt, besuchte die Reiterstaffel zwei Jahre vor ihrer Auflösung und trug sich, wie bei seinem nächsten und auch letzten offiziellen Besuch 2008, ins Goldene Buch der Stadt ein.

Damals hielt er auf Einladung des Verbandes Deutscher Sportjournalisten, der in der Historischen Stadthalle tagte, eine Rede zu Ehren des Reiters Markus Ehning. Der erhielt eine Fairplay-Trophäe, weil er in Aachen freiwillig auf den ersten Platz verzichtet hatte. Er hatte die Konkurrenz durch Pferdewechsel benachteiligt gesehen. Eine Geste, die auch Winkler beeindruckte. „Das Pferd ist unser Sportpartner, das ist kein Sportgerät. Und am Morgen weiß man nicht, was es für einen Tag erwischt hat“, beschrieb Winkler damals die enge Beziehung zwischen Mensch und Tier.

Zu den von Winkler gerne erzählten Geschichten gehört auch jene über das Adoptions-Angebot eines späteren US-Präsidenten. Ein halbes Jahr lang ritten Winkler und damalige Oberbefehlshaber Dwight D. Eisenhower jeden Morgen in die Wälder des Taunus. Dann bestellte der spätere US-Präsident den damaligen Stallburschen in sein Büro. „Ohne Umschweife fragte er nach meinen Familienverhältnisse. Ganz höflich fragte er, ob ich mir vorstellen könnte, dass er mich adoptiert und an Kindes statt annimmt“, berichtete Winkler. „Dann habe ich überlegt und überlegt und bin zu dem Schluss gekommen: Das geht gar nicht, ich kann meine Mutter nicht im Stich lassen.“

Sportlich ist er als Springreiter noch immer unerreicht. Den zwei Goldmedaillen von 1956 folgten drei weitere Olympia-Siege. Unter anderem 1972 in München, wo es im Vorfeld einen unschönen Streit um die Besetzung der deutschen Mannschaft gegeben hatte. Die Pferdenamen Fidelitas, Enigk oder Torphy kennen — im Gegensatz zu Halla — nur Experten.

Winkler gewann zudem eine Silber- und eine Bronzemedaille bei Olympischen Spielen. Am nächsten kam ihm Ludger Beerbaum, der viermal Gold gewann. „Er war eine große Reitsportpersönlichkeit, die den Pferdesport mitgeprägt hat“, sagte Beerbaum am Montag: „Bis ins hohe Alter haben wir Pferdegeschäfte miteinander gemacht, und ich kann verraten: Es war nicht einfach, mit ihm zu feilschen.“

Zur imposanten Bilanz des Ausnahmereiters gehören auch zwei Einzeltitel bei Weltmeisterschaften und fünf deutsche Meisterschaften. Winkler startete 105 Mal für die deutsche Mannschaft. Und zu seiner umfangreichen Titelsammlung gehört auch die zweimalige Wahl zum Sportler des Jahres — eine heutzutage kaum vorstellbare Ehre für einen Reiter.

Seine Karriere beendete Winkler 1986 in Aachen, wo er neben vielen Siegen beim CHIO auch dreimal den Großen Preis gewann. Und dort, im größten Reitstadion der Welt mit 40 000 Plätzen, genoss er 2016 eine große Gala zu seinen Ehren. Das Stadion in Aachen war Winklers „Wohnzimmer“ — so hat er selbst es immer genannt.