Ein Schuhkarton voll Glück
Kolumnist Uwe Becker erinnert sich an einen Krankenhausaufenthalt.
Krankenhäuser sind Stätten der Hilfe und Heilung, dort erblicken Menschen das Licht der Welt, oder sie schließen ein letztes Mal die Augen. Ich muss gestehen, dass ich eine Krankenhaus-Phobie habe. Ich betrete diese Einrichtungen natürlich, um kranke Familienmitglieder oder enge Freunde zu besuchen, allerdings immer mit einem mulmigen Gefühl. Wenn ich einen Krankenbesuch mache, halte ich mir immer den Blumenstrauß direkt vor’s Gesicht, weil ich befürchte, dass mich jeder Arzt auf dem Flur sofort auf meinen blassen Teint anspricht: „Guter Mann, Sie sehen aber nicht gesund aus, am liebsten würde ich Sie gleich hier behalten, aber konsultieren Sie mal zunächst ihren Hausarzt!“
Begrabt mein
Herz in Wuppertal
Meine Abneigung gegen Krankenhäuser könnte mit einem Erlebnis aus dem Jahre 1963 zusammenhängen. Ich war acht Jahre alt und sammelte die Fußballbilder der ersten Bundesligasaison. Die Alben wurden von freundlichen Männern vor dem Schulhof kostenlos verteilt, dazu gab es noch - quasi als Einstiegsdroge - zwei Tütchen mit Bildern. Mein ganzes Taschengeld opferte ich der Sammelleidenschaft.
Nach der Schule stand ich einmal am Fußgängerüberweg direkt vor unserem Wohnhaus. Ich hatte nur Augen für meine Fußballbilder und war selig, dass die seltene Sammelkarte mit Uwe Seeler endlich dabei war. Plötzlich ging der Erwachsene neben mir über die Straße, und ich lief gedankenlos hinterher. Die Ampel zeigte allerdings noch Rot, und so erfasste mich ein Auto. Ich flog ein paar Meter durch die Luft, stand aber direkt wieder auf. Eine Nachbarin benachrichtigte meine Mutter und einen Krankenwagen.
Der Notarzt fragte mich, ob mir etwas weh täte. Ich stand aber zu sehr unter Schock, um zu antworten, auch weil ich sah, wie der Wind meine Fußballbilder weit weg die Straße hinunter trug. Es war war ja nicht nur der Verlust der Sammelkarte von Uwe Seeler, den ich zu beklagen hatte, nein, die ebenso raren Bilder von Pelé, Hans Schäfer und Helmut Haller waren ebenso verloren.
Der Arzt im Krankenhaus meinte, ich sollte zur Beobachtung eine Woche da bleiben, um innere Verletzungen auszuschließen. Ich war darüber sehr unglücklich, da ich doch keine Schmerzen verspürte. Man schob mich in ein Drei-Bett-Zimmer mit zwei vorlauten, schrecklichen Kindern, die mir tagelang auf die Nerven gingen, mir die Bettdecke wegzogen und stundenlang ausgelassen durchs Zimmer sprangen, um ihre gelungene Blinddarmoperation zu feiern.
Es war die Hölle. Ich hatte bis dahin nur zu Hause übernachtet, bei meiner Oma oder im Urlaub an der Costa Brava, aber noch nie alleine und ohne Familienmitglieder. In den Nächten fühlte ich mich einsam, und die eine oder andere Träne konnte ich nicht unterdrücken. Täglich musste ich Schwester Astrid meinen Stuhlgang zeigen - sehr unangenehm für einen achtjährigen Jungen.
Um so schöner war der Tag meiner Entlassung: Mein Vater holte mich ab, und daheim hatte meine Mutter Obstsalat mit Sahne zubereitet. Mein Glück war perfekt, als mein Vater mir einen randvoll gefüllten Schuhkarton mit Fußballbilder-Tüten überreichte. Mein Album war nun fast vollständig, und ich überlegte, ob ich mich nochmals von einem Auto anfahren lassen sollte. Meine Angst vor einem erneuten Krankenhausaufenthalt war dann doch aber zu groß.