Wuppertal Flüchtlinge: „Verstehen, bevor man urteilt“
Der Ingenieur Abdullatif Alsheikhly aus dem Irak hilft Syrern, die in Wuppertal ankommen.
Wuppertal. Abdullatif Alsheikhly hat früh eine Weisheit begriffen, die ihm heute das Leben erleichtert: „Du musst den anderen verstehen, bevor du ihn beurteilst.“ Sonst könne man unbeabsichtigt Menschen verletzen oder angreifen.
„Bei uns sagt man einer Frau zum Beispiel ,du bist schön wie der Mond’“, erklärte der gebürtige Iraker. „Hier kann eine Frau darunter verstehen, dass sie dick ist“, weiß er wohl aus leidvoller Erfahrung. Ein anderes Mal machte er in Richtung eines anderen Autofahrers eine ihm vertraute Geste: hob die Hand mit den fünf Fingerspitzen aneinandergelegt hoch. „Das bedeutet bei uns so etwas wie ,bitte Geduld’. Aber er dachte, ich zeige ihm den Mittelfinger.“ Zum Glück konnte er dessen Wut darüber mit einer Erklärung besänftigen.
Zwei Beispiele für Missverständnisse zwischen unterschiedlichen Kulturen. Davon hat der sympathische 63-Jährige in seinem Leben viele gesammelt. Die Mahnung, erst verstehen zu wollen, hat er von seinem Vater. „Der war sehr offen“, erzählt Abdullatif Alsheikhly. Der Vater war Arzt in Bagdad, wo Alsheikhly aufgewachsen ist. „Damals war Irak ein Paradies.“ Die Familie unternahm viele Reisen ins Ausland: „Einmal sind wir mit dem Auto bis nach München gefahren.“
Abdullatif Alsheikhly studierte Elektrotechnik, für seinen Master ging er nach Schottland, für eine Promotion 1982 nach Deutschland — erst nach Karlsruhe, dann nach Wuppertal. Er arbeitete an der Uni und in einem Unternehmen, bevor er sich 1997 erfolgreich selbstständig machte.
Auch die unterschiedlichen Mentalitäten in Europa studierte er: Die Feindschaft zwischen Schotten und Engländern überraschte ihn. In Deutschland merkte er, dass er sich mehr verteidigen musste, zum Beispiel, dass er kein Schweinefleisch isst. „In England ist das Privatsache.“ Er interessiert sich für die deutsche Kultur, hörte sich an der Uni sogar theologische Vorlesungen an — um das Christentum zu verstehen.
In zweiter Ehe ist er mit einer in Jordanien geborenen Syrerin verheiratet, hat daher viele Beziehungen nach Syrien. Seine drei Söhne ließ er eine Weile in Syrien zur Schule gehen, um ihr Arabisch zu verbessern. „Ich habe damals geahnt, dass es Probleme, dass es Krieg geben würde.“
Schon lange half er Landsleuten aus dem Irak, die nach Wuppertal kamen. Als dann im vergangenen Herbst zahlreiche Syrer kamen, meldete er sich beim Integrationsamt: „Ich bin bereit, den Syrern zu helfen.“ Seither übersetzt er, erläutert Formulare, begleitet zu Behörden und Ärzten. Oft lässt er sich fotografierte Dokumente per Handy schicken, kann so vieles klären.
Er weiß, dass viele Syrer Fremden ungern ihr ganzes Leben erzählen. „Doch das ist manchmal nötig“, versuche er ihnen dann zu erklären. Sonst könnten die Behörden nicht helfen. Andererseits wirbt er bei den Ämtern für Verständnis. Zum Beispiel dafür, dass es in manchen Ländern keine Geburtsurkunde gebe. „Das muss man verstehen und eine Lösung finden“, fordert er.
Anfangs war er zwei bis drei Mal in der Woche unterwegs, inzwischen hat er sein Engagement aus beruflichen und gesundheitlichen Gründen etwas eingeschränkt. Wichtig ist ihm, dass er rein ehrenamtlich arbeitet. Denn es gebe auch Helfer, „die haben gegen Geld geholfen. Das hat mich wahnsinnig geärgert“.
Ein weiteres Problem, das ihn umtreibt: „Syrer lernen einen Beruf oft ohne formale Ausbildung vom Vater oder jemand anderem in der Familie. Manche sind Meister. Und hier gelten sie als Analphabeten, als Nichtling.“ Das sei schade: „Das sind Leute, die wollen arbeiten.“ Wenn man dafür keine Lösung finde, „verlieren wir diese Leute.“
Es freut ihn, dass er durch sein Engagement viele Menschen kennengelernt hat: „So viele Menschen grüßen mich.“ Manche seien zu Freunden geworden. Und ein junger Mann, dessen Familie er eine Weile geholfen hat, „betrachtet mich als Vater“.