Stadtentwicklung in Wuppertal „Die Gathe ist nicht die Bronx — aber heftig“

Wuppertal · Die Gathe in Wuppertal ist kein Ort zum Wohlfühlen: Wie schätzen die Anwohner und Händler an der Gathe „ihre“ Straße ein?

 Das schwierige Eingangstor in die Elberfelder City: die Gathe.

Das schwierige Eingangstor in die Elberfelder City: die Gathe.

Foto: Fischer, Andreas H503840

28. April 2019: Gegen 21 Uhr knallt es mehrfach an der Gathe/Ecke Karlstraße. Keine verfrühten Silvesterböller, wie manche vermuten, sondern Schüsse. Ein 36-Jähriger wird getroffen, stirbt ein paar Tage später im Krankenhaus. Und die Gathe ist wieder in den Schlagzeilen – wie so oft negativ. „Es wird immer schlimmer“ oder „Die Gathe ist gefährlich“ ist das, was mittlerweile vielen Wuppertalern zu der Einfallstraße in die Elberfelder City einfällt. Aktuell läuft vor dem Landgericht der Prozess gegen den mutmaßlichen Schützen. Und Aussagen einiger Zeugen verstärken den Eindruck vieler von Wuppertals „Bronx“ mit ausländischen Banden, die die Straße im Griff haben – auch wenn sie selbst die Gathe maximal vom Durchfahren mit dem Auto kennen. „Die ist kaputt“, beschrieb ein 41-Jähriger vor Gericht die Straße. „Vor 20 Jahren war das ein Party-Platz, heute ist hier Drogenhandel.“ Dass der Zeuge, wie er erzählte, gerade aus einem Wettbüro kam, als die Schüsse fielen, passt ins Klischee.

Doch wer die Gathe besucht, sieht sich zum Teil bestätigt. Spielhallen und Wettbüros säumen den Weg. Viele Fassaden, die eine Auffrischung nötig hätten. Dazu Cafés und Bars mit, so sagen Anwohner und vor allem die, die schon länger an der Gathe sitzen, oft wechselnden Namen und Besitzern – und „schwierigem“ Publikum. Auch der jetzt Angeklagte kommt wohl aus der Szene.

Doch es gibt auch die „Anderen“ an der Gathe. Pizza Pazza hält seit langem die Stellung, auch Einrichtungen wie die Moschee oder das Marx-Engels-Zentrum, wo mittlerweile eine lebensgroße Figur von Karl Marx Vorbeifahrende und -gehende grüßt, gehören zum Inventar der Straße.

Doch viele haben sich längst verabschiedet. Gut drei Jahre ist es her, dass zum Beispiel die Traditionskneipe „Odysseus“ ihre Pforten schloss. Eine Institution an der Gathe, in der Pina Bausch ihren Stammplatz hatte. Sie werden immer weniger.

Einer, der die Gathe kennt, ist Hakan Kes. Er ist dort aufgewachsen, sein Autoservice-Betrieb liegt in einer Nebenstraße. „Die Gathe ist nicht die Bronx“, sagt er. „Aber für deutsche Verhältnisse ist es schon heftig.“ Vor allem der Drogenverkauf sei ein Problem. Junkies und Betrunkene würden zudem für Probleme sorgen. Ob man Angst haben muss auf der Gathe? Kes selbst habe keine, betont er. Er habe aber schon Situationen gesehen, wo der „falsche Blick“ gereicht habe, damit es eskaliert. Und: „Wäre ich eine Frau, würde ich mir schon überlegen, wo ich langgehe“, sagt er. Vor allem der Abschnitt zwischen Karl- und Ludwigstraße sei heikel.

„Multi-Kulti“ sei die Gathe schon immer gewesen, jetzt wäre sie aber leider vor allem kriminell, klagt Kes. Auch die „Mischung“ habe sich verändert. „Früher gab es vor allem Türken, Italiener und Griechen.“ Doch die beiden letztgenannten Gruppen „sind zum Großteil weg“. Stattdessen seien vor allem Bulgaren gekommen. Auch Rumänen, Albaner und Araber, berichten andere.

Es ist auch ein „Generationenkonflikt“, wie in Gesprächen gerade mit älteren türkisch-stämmigen Anwohnern und Geschäftsleuten deutlich wird: Von den „Neuen“, den „Kriminellen“ distanziere man sich. „Die wollen wir hier nicht.“

Die, die schon länger an der Gathe lebten und die Möglichkeit hätten, „versuchen wegzuziehen“, erzählt der Mitarbeiter eines anderen Kfz-Betriebes. Drogen, Kriminalität, Schwarzarbeit, all das schrecke ab. „Die Gathe ist ärmer geworden“, hat Anwohner Özcan Cökmez den Eindruck. Er sitzt vor einer Bar, raucht eine Shisha. Die Entwicklung der Straße hat er seit langem im Blick. Die, die zuziehen, seien sozial eher schwach. „Aber: Es ist kein Ghetto hier“, betont er. Von einem „besonderen Kiez“ spricht ein Gast im Café Roma ein paar Häuser weiter, was eher romantisch-verklärend klingt.

Die Nationalitäten blieben schon unter sich, so Cökmez. Das hatte auch der Zeuge vor Gericht geschildert. Die Konflikte würden ebenfalls untereinander ausgetragen, heißt es an der Gathe. „Die Schießerei? Das waren doch die Albaner“, erzählt ein Passant. „Das machen die unter sich aus.“ Wer von außerhalb komme, „müsse sich nicht fürchten“. Auch das hört man öfter. Doch das ist höchstens die halbe Wahrheit. Dass auch völlig Unbeteiligte betroffen sein können, hatte eine Zeugin eindrücklich vor Gericht geschildert. Mit ihrem kleinen Kind im Auto hatte sie das Geschehen praktisch direkt miterleben müssen. Monatelang sei sie in psychologischer Behandlung gewesen. Auch eine Anwohnerin spricht beim Besuch der WZ vor Ort ganz klar von Angst. „Ich würde wegziehen, wenn ich könnte.“ Die Kassiererin im türkischen Supermarkt, die gerade bei ihr abkassiert, nickt nur.

Oliver von Eckern, der das Beauty Institut betreibt, ist einer der wenigen verbliebenen deutschen Geschäftsleute an der Gathe. Die Situation habe sich in den vergangenen Jahren verschlechtert, glaubt auch er. Seine Kunden, darunter viele Stammkunden kämen trotzdem. Angst hätten sie nicht. Von Eckern sei auch der einzige Grund, warum er überhaupt noch zur Gathe komme, sagt ein älterer Herr. „Die Gathe ist schrecklich, schauen Sie sich doch nur einmal die Baulücke mit dem Müll an.“ Dass einige seiner Mitarbeiterinnen ein mulmiges Gefühl hätten, wenn sie abends den Laden verließen, könne er nachvollziehen, räumt von Eckern ein.

Es ist, wie häufig, die Frage des subjektiven und objektiven Sicherheitsgefühls. Die Polizei hält sich mit Zahlen zurück. Sprecher Stefan Weiand betont: „Die Gathe ist im Vergleich zu ähnlichen Straßen nicht auffällig von der Zahl der Einsätze.“ Die Art der Einsätze sei aber schon anders. An der Luisenstraße dominierten zum Beispiel eher Ruhestörungen, an der Gathe werde es öfter einmal handgreiflich, öfter innerhalb der Gruppen. Die Schießerei sei aber die absolute Ausnahme. Und, so die Einschätzung der Polizei: „Das hätte auch anderswo passieren können.“

Die Meinungen über die Arbeit der Polizei sind geteilt. Eine Ladenmitarbeiterin lobt die Präsenz. „Die sind oft hier.“ Anderen dagegen nicht oft genug. Und wenn, „dann kümmern sie sich um Falschparker“. Weiand wehrt sich gegen die Kritik. Mitte Dezember war die Gathe noch Schwerpunkt einer großen Razzia. Kräfte von Polizei, Steuerfahndung, Hauptzollamt, Lebensmittelkontrolle und Jobcenter waren gegen Clankriminalität im Einsatz, mit dem Ziel, sie „aus der Anonymität herauszuholen“, einen „Nadelstich“ zu setzen.

Die Polizei würde vor allem auch versuchen, an die Hintermänner zu kommen. Ermittlungen im Hintergrund, die Außenstehende „natürlich so nicht mitbekommen“, erklärt Weiand. „Wir haben die Gathe im Blick und sind schnell vor Ort.“

Und es gibt auch die, die die Hoffnung für die Gathe nicht aufgegeben haben. „Die Straße ist so, wie sie ist. Es wird sich aber noch etwas positiv entwickeln“, bleibt Lutz Urbach, der eine Immobilie dort besitzt, optimistisch. In der Vergangenheit hatte er seine Mieterstruktur, besonders im gewerblichen Bereich, deutlich verbessern können. Vor ein paar Jahren sorgte er zudem für eine optische Aufwertung, ließ sein Haus an der Gathe 40 von Künstler Martin Heuwold mit einem Graffiti verschönern, unterstützt aus einem Förderprogramm für Fassaden. Urbach hoffte, dass andere Nachbarn nachziehen – bislang vergeblich. Allerdings gibt er auch zu bedenken, dass – Förderung hin oder her – Eigentümer eben auch selbst Geld in die Hand nehmen müssen. „Das schreckt viele doch ab.“