Umjubelte Premiere Hänsel und Gretel in Wuppertal – zauberhaft schön

Wuppertal · Johannes Weigands Inszenierung der Oper wird in Wuppertal neu einstudiert.

Wie im Lied „Abendsegen“ angekündigt bewachen 14 Engel (Statisterie) den Schlaf von Hänsel und Gretel.

Foto: Björn Hickmann

Die Bühne des Opernhauses ist in stimmungsvolles Licht gehüllt, der Wald in hellen Grüntönen angedeutet. Das Sinfonieorchester unter der vorzüglichen Leitung des 1. Kapellmeisters Johannes Witt präsentiert die Schönheit der Musik schon bei der Ouvertüre. Im „sinfonischen Prolog“ von Komponist Engelbert Humperdinck fassen die Musiker mit zart schwebenden Klangfarben, hochdramatischen Momenten und betörendem Abendsegen das knapp zweistündige Geschehen in acht Minuten zusammen. So eingestimmt begibt sich das Publikum auf eine Reise in die bezaubernde Märchenwelt. Am Freitag feierte die Neueinstudierung von Johannes Weigands „Hänsel und Gretel“-Inszenierung eine umjubelte Premiere.

Weigand hatte als Oberspielleiter im Opernhaus das Werk 2006 auf die Bühne gebracht. Unter seiner Intendanz bis 2014 erfreute sie das Publikum mit vielen Wiederaufnahmen. Der Vorhang öffnet sich, Hänsel und Gretel spielen vor dem hölzernen Wohnwagen der Familie, statt – wie von der Mutter aufgetragen – zu arbeiten. Margaux de Valensart (Sopran) als Gretel und Edith Grossman (Mezzo) als Hänsel geben ein klangschönes Rollendebüt. Mit großer Spielfreude verkörpern sie die fröhlichen, aber hungrigen Kinder. Verspielt singen sie „Suse, liebe Suse“, ausgelassen tanzen und singen sie „Brüderchen, komm tanz mit mir“, und landen schnell in den Herzen des Publikums – darunter am Premierenabend viele Kinder.

Gretel (Margaux de Valensart, Sopran) und ihr Bruder Hänsel (Edith Grossman, Mezzosopran) necken einander bei der Arbeit vor dem Wohnwagen der Familie.

Foto: Björn Hickmann

Bei der Uraufführung im Dezember 1893 stand Richard Strauss am Pult des Weimarer Hoftheaters. Er war ebenso wie Gustav Mahler ein Fan dieser Oper, die Mahler „ein Meisterwerk“ nannte. Das Libretto von Humperdincks Schwester Adelheid Wette verwandelt das Grimmsche Märchen in eine weniger gruselige, eher spannende Erzählung. Die großartige Musik spricht Kinder und Erwachsene an. Der ernste Hintergrund bleibt: Das Elend der Handwerker auf dem Land, das nach der Industrialisierung Alltag war, ebenso die Überforderung einer Mutter.

Schreckensszenario mit Hexe, die um Mitternacht ausreitet

Mit großem Einfühlvermögen nimmt die Oper Ängste und Sehnsüchte von Kindern ernst. Die Regie von Weigand und die Ausstattung von Markus Pysall erschaffen ohne Kitsch, Nostalgie-Staub oder psychoanalytische Hintergründe, mit großer Liebe zum Detail ein Gesamtkunstwerk, das sich an der Musik orientiert und auch nach fast 20 Jahren begeistert. Die Charaktere haben klare Konturen, die Personenregie lässt Sängern Freiheit zur Ausgestaltung. Die Kinder necken einander, gehen liebevoll geschwisterlich miteinander um, Hänsel ist ein fürsorglicher Bruder.

Bei der Premiere und einer weiteren Vorstellung gibt es ein Wiedersehen mit Sopranistin Elena Fink, die bis 2014 zum Ensemble der Oper gehörte und 2006 in der Märchenoper als Gretel auftrat. Nun steht sie als Mutter Gertrud auf der Bühne. Die ist zornig über das ausgelassene Verhalten der faulenzenden Kinder. Müde und ausgelaugt schickt sie sie zum Beerenpflücken in den Wald. Fröhliche Musik kündigt die Ankunft des Vaters an, gespielt von Ensemblemitglied Oliver Weidinger. Mit schönem kraftvollen Bariton und absolut textverständlich berichtet der Besenbinder von seinem Verkaufserfolg auf dem Markt. Die Freude erlischt, als er erfährt, dass die Kinder im Wald sind. Er beschreibt ein Schreckensszenario von einer Hexe, die um Mitternacht ausreitet. Die Sorge des Vaters wird in jeder Note deutlich, auch die Mutter hält es vor Angst nicht mehr aus, beide rennen los, um die Kinder zu suchen.

Während der Umbaupause lässt die Musik die Dramatik des folgenden Geschehens erahnen, die Eltern suchen Hänsel und Gretel in den Zuschauerreihen. Im zweiten Bild sind die Kinder allein im Wald, der mit überdimensionalen Himbeeren kunstvoll angedeutet ist. Hier – wie in allen Szenen – trägt die geniale Beleuchtung zum Erfolg bei. Es wird dunkel, die Kinder finden den Weg nicht mehr, Nebel wabert, das Sandmännchen (mit hellem Sopran Elia Cohen-Weissert) kommt und streut glitzernden Sand.

Betörend schön singen Hänsel und Gretel den Abendsegen, das bekannte Duett, das von 14 Schutzengeln erzählt. Die erscheinen zur zauberhaften Musik von allen Seiten. Handfeste Engel im Blaumann, die – wie im Lied versprochen – den Schlaf der Kinder bewachen. Nach der Pause weckt sie das Taumännchen. Die Kinder finden das Hexenhaus, das mit riesengroßen Leckereien von Haribo gestaltet ist.

Die Hexe tritt zunächst freundlich als ältliche Tante auf. Herrlich komisch und mit praller Freude gespielt vom neuen Ensemblemitglied Merlin Wagner, entpuppt sich Rosine Leckermaul jedoch als bedrohlich. Mit klangstarkem Tenor genießt Wagner jeden Ton. Sein fulminanter Hexenritt sorgt für Heiterkeit und großen Szenenapplaus.

Als die klugen Kinder die Hexe besiegt haben, tauchen fast 40 verzauberte Lebkuchenkinder auf. Das „Erlöst, befreit“ wird vom Kinder- und Jugend Opernclub der Oper Wuppertal und dem Jugendchor „Voices“ der Musikschule Remscheid großartig gesungen und dargestellt. Von Eva Caspari und Astrid Rückebier exzellent vorbereitet singen zum Ende alle gemeinsam. Riesengroßer Beifall und viele Jubelrufe für einen rundherum bezaubernden und beglückenden Opernabend. Opernliebhaber jeden Alters und alle, die es werden wollen, sollten sich die Aufführung nicht entgehen lassen.