Hauptdarstellerin spielt auch ohne Worte grandios
„Licht im Dunkel“ über die blind-taube Helen Keller feierte im Taltontheater Premiere.
Wuppertal. Ein Käfig aus weißem durchscheinendem Stoff hält ein Kind gefangen. Das Mädchen mit den Zöpfen tastet sich an der flexiblen Wand entlang, sucht etwas, scheint ausbrechen zu wollen. Doch es findet keinen Ausweg. Eindrucksvoll und beinahe beängstigend beginnt die Wuppertaler Inszenierung von „Licht im Dunkel“, die am Samstag im Taltontheater Premiere feierte. Das Stück von William Gibson aus dem Jahr 1959 basiert auf dem autobiografischen Roman der Amerikanerin Helen Keller, die 1880 gesund zur Welt kam und mit 19 Monaten Gehör und Augenlicht verlor. Helen entwickelt sich zu einer Tyrannin, die erst von der jungen, unkonventionellen Lehrerin Annie Sullivan gebändigt werden kann. Wobei Helens Verwandte mehr im Weg stehen als helfen. Während sie „ein ganz normales Kind“ wollen, will die selbst sehbehinderte Annie Sullivan Helen etwas viel Wichtigeres vermitteln: Sprache. Helen soll lernen, mittels Fingeralphabet zu kommunizieren.
Mit „Licht im Dunkel“ haben sich Regisseur Jens Kalkhorst und das Taltontheater (TTT) einen schwierigen Stoff ausgesucht, schaffen es aber, ihn spannend und stellenweise sogar witzig umzusetzen. Historische Kostüme mit viel Spitze für die Damen, Kleider mit Schürzen für die Mädchen und sandfarbene Anzüge für die Männer sowie alte Möbelstücke sind Zeugen für die Spielzeit des 19. Jahrhunderts. In „Licht im Dunkel“ geht es um die Frage von damals, wie man mit behinderten Menschen umgehen soll und die Erkenntnis, dass Mitleid der falsche Weg ist. Diese Information könnte man heute eigentlich als bekannt und damit obsolet ansehen. Doch die tiefere Botschaft des Stücks entwickelt eine eigene Dynamik. Denn die Zuschauer werden zum Nachdenken darüber angeregt, was ihnen das Drama in der heutigen Zeit sagen soll: Wie erreicht man jemanden, der einen nicht versteht und niemanden an sich heranlässt? Würde der Zweck die Mittel heiligen, wenn es der Person hinterher besser ginge? Und welcher Personenkreis ist eigentlich gemeint? Eine Antwort bietet die Inszenierung nicht.
Für einen bewegenden wie gelungenen Theaterabend sorgt vor allem das Trio der Hauptdarstellerinnen: Svenja Dee spielt grandios die blind-taube Helen, die sich wütend auf den Boden schmeißt, wenn sie ihren Willen nicht bekommt, oder scheinbar teilnahmslos ins Nichts starrt, während sie ihre Puppe streichelt. Tabea Schiefer verkörpert die liebevolle, aber völlig überforderte Mutter glaubwürdig und herzerwärmend. Angela del Vecchio sorgt als Lehrerin für heitere („Ich zittere wie ein Lämmerschwanz“), aber auch schockierende Momente („Wir haben mit Ratten gespielt, weil es kein Spielzeug gab“). Jens Kalkhorst bildet als ständig brüllender Vater Captain Keller ihren Gegenspieler, wobei dieses Gebrüll auf Dauer anstrengend ist. Die Nebendarsteller zeigen sich alle spielfreudig.
Den Durchbruch in die Gegenwart schafft die Inszenierung durch das Bühnenbild von Rüdiger Tepel. Dominierend sind drei moderne, halbtransparente weiße Leinwände. Sie werden in verschiedenen Weisen angeordnet, sind mal Käfig, mal Gartenhaus, mal Fenster in die Vergangenheit und dann wieder Hauswand. Je nachdem, wie sie angestrahlt werden, umrahmen sie die Handlung wie ein Weichzeichner, der aber auch Zerrbilder liefert. Am Schluss hat Helen die weiße Wand, die sie am Anfang gefangen gehalten hat, schützend im Rücken, während sie liebevoll ihre Lehrerin umarmt. Die Premieren-Zuschauer konnten ob des glücklichen Ausgangs endlich aufatmen und spendeten dem Ensemble begeisterten Applaus.