Ende Februar 2020 liegt in Wuppertal etwas in der Luft. Das Gespür dafür hat aber noch nicht jeder. Das Corona-Virus ist in vielen Köpfen noch eine Krankheit, die vor allem im fernen China wütet. Aber einige Dinge verändern sich bereits. In vielen Drogerieketten sind Schutzmasken und Desinfektionsmittel ausverkauft. Die Bergische IHK findet in einer Blitzumfrage heraus: „Mittlerweile wird das Coronavirus aufgrund zahlreicher internationaler wirtschaftlicher Beziehungen zu einer Belastungsprobe auch für die Unternehmen im Bergischen Städtedreieck.“
Es liegt etwas in der Luft. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind es auch schon Corona-Viren, die zu diesem Zeitpunkt noch offiziell unentdeckt von Wuppertaler zu Wuppertaler wandern. Etwa bei den Karnevalspartys, die als Ersatz für den ausgefallenen Rosensonntagszug überall spontan einberufen wurden. Das Virus war aber nicht der Grund dafür, dass die Karnevalisten die Großveranstaltung kurz vorher abgesagt hatten, sondern das stürmische Wetter. Dass irgendwann Partys, Konzerte und selbst das Essengehen im Ecklokal wegen einer Pandemie ins Wasser fallen könnten - dieses Szenario erträumt sich noch kaum jemand.
Doch die Welt ändert sich rasant, schließlich auch vor der eigenen Haustür. Am 11. März 2020 meldet Wuppertal die ersten vier Infektionen mit dem Coronavirus. Vorausgegangen war ein bestätigter Fall aus dem Umland. Ein Wuppertaler wurde als Kontakt der erkrankten Person in häusliche Quarantäne geschickt und anschließend getestet - positiv.
Die WZ sprach mit einem Wuppertaler Ehepaar, das nach einem Italienurlaub zur Welle der Erstinfizierten im März gehörte, über ihre Erlebnisse. Claudia und Stefan P. wurden von der Stadt zunächst zur ersten städtischen Teststation in Ronsdorf-Linde gerufen. Dort fuhren sie mit dem Auto vor und bekamen die Teststäbchen ins Fahrzeug gereicht. Ihre Abstriche mussten sie selbst machen.
Hamsterkäufer laden den
Einkaufswagen mit Klopapier voll
Das Gesundheitsamt verordnet den Wuppertalern ganze fünf Wochen Quarantäne. Zu diesem Zeitpunkt hat das Gesundheitsamt noch die Kapazität für eine ausführliche Betreuung der Erkrankten am Telefon. Stefan P. sagt damals der WZ: „Die haben uns jeden Tag zwei Mal angerufen und uns gefragt, wie es uns geht. Das war nett.“ Zwei Wochen verbringen die Wuppertaler geschwächt im Bett. Ein Impfstoff, der den Verlauf der Krankheit abmildern könnte, ist noch nicht erfunden.
Nur eine Woche später befindet sich die Welt im Ausnahmemodus. Seit Beginn der Krise ändern sich fast täglich die Regeln im zwischenmenschlichen Alltag. Abstandsmarkierungen werden im öffentlichen Raum aufgeklebt und es gibt Einkaufsbeschränkungen von beliebten Lebensmitteln wie Nudeln und Mehl. Trotzdem sorgen Hamsterkäufer für Nervosität.
Auch in Wuppertals Supermärkten wird unter anderem das Klopapier zur Mangelware. Wer mitbekommen hat, dass der Discounter X um 12 Uhr mittags neu aufgestockt hat, gibt die Nachricht wie einen Geheimtipp an Freunde und Familien weiter. Innerhalb von einer Stunde kann das ersehnte Hygieneprodukt schon wieder ausverkauft sein. In den sozialen Netzwerken kursieren Geschichten von verbalen und sogar körperlichen Auseinandersetzungen an der Supermarktkasse.
Am 14. März beschließt der Krisenstab der Stadt massive Einschränkungen für das Leben in Wuppertal, um Sozialkontakte aufs Nötigste zu reduzieren. Dazu gehört unter anderem das Untersagen von Veranstaltungen mit mehr als 100 Teilnehmern, Abstandsregelungen für Restaurants und Fitness-Center sowie die Schließung städtischer Einrichtungen wie Schwimmbäder, Museen und Zoo. Auf Weisung des Landes schließen zudem Kitas und Schulen. Eine von vielen Schließungen dieser Art, die noch folgen werden und den Belastungsdruck bei vielen Familien stark erhöhen. Auch beginnen jetzt die Besuchsbeschränkungen für Altenheime, die Senioren mit einem Schlag zu weiteren Verlierern der Pandemie machen.
16 Wuppertaler sind zu diesem Zeitpunkt bestätigt mit dem Corona-Virus infiziert. 2021 wird man sich diese moderate Zahl zurückwünschen.
Im April führt das Land NRW die Maskenpflicht ein, die sich zunächst auf Orte wie den ÖPNV und den Einzelhandel beschränkt. Auch wegen der Verfügbarkeit ist nicht daran zu denken, die Verordnung auf FFP2-Masken festzusetzen. Jeder trägt, was er hat. So sind im Frühling und Sommer Stoffmasken beliebt, die mitunter lose vor den Mündern baumeln. Wer mag, trägt schrilles Pink, passend zum Outfit oder entscheidet sich für eine Maske vom Lieblingsfußballverein.
Der Herbst und Winter 2020 bringen die nächste Infektionswelle. Im November wird in Wuppertal ein Teil-Lockdown verhängt. Die Wirtschaft - von Gastronomie über Einzelhandel bis hin zum größeren Unternehmen - ächzen unter den Folgen.
Ein Jahr später, Mitte April 2021, ist die Lage extrem angespannt. In nur 24 Stunden infizieren sich in Wuppertal mehr als 200 Menschen neu. Nahezu täglich gibt es neue Rekorde, das Infektionsgeschehen scheint außer Kontrolle. Das Gesundheitsamt wird schon seit Oktober 2020 von Kräften der Bundeswehr unterstützt. Die Soldaten sitzen zwölf Stunden am Tag im Elberfelder Rathaus und klären Menschen mit positivem Corona-Test über die Quarantäne auf. Nach Angaben von Stadtsprecher Thomas Eiting wuchs die Zahl der Mitarbeiter des Gesundheitsamtes inklusive Soldaten und Sonderkräfte in der Spitze auf 350 Personen an. Zum Vergleich: Heute verfügt dasselbe Amt nur noch über 80 Mitarbeiter für alle anfallenden Aufgaben.
Am 19. April 2021 wird die größte aller Notbremsen gezogen: Um 21 Uhr tritt in Wuppertal die erste Ausgangssperre in Kraft. Auf der Straße darf man sich dann nur noch mit gutem Grund aufhalten. Das ist nicht nur der Weg zur Arbeit oder zum Arzt, sondern kann auch der Spaziergang mit dem Hund sein. Am ersten Montag der Ausgangssperre ist die WZ auf Wuppertals Straßen unterwegs und fängt gespenstische Bilder ein. Der Wall oder der Döppersberg komplett ohne Menschen - um 21.15 Uhr. Die Geräusche der Stadt sind mit einem Schlag verschwunden: keine Stimmen, keine Schritte, keine Automotoren.
Erst durch den zeitweise kriechend langsamen Fortschritt bei den Impfungen bekommt man die Ausnahmesituation langsam in den Griff. Auf einen echten Meilenstein warten die Wuppertaler aber noch viele coronageplagte Monate: Am 19. Dezember 2022 schließt das letzte städtische Impfzentrum im Pavillon Döppersberg. Bis dahin haben sich mehr als 98 000 Menschen in Wuppertal gegen das Virus impfen lassen.
Fünf Jahre nach dem ersten Corona-Ausbruch in Wuppertal hat statistisch gesehen jeder zweite Wuppertaler mindestens einmal (gemeldet) Corona gehabt. 800 Menschen sind mit oder an einer Covid-19-Infektion gestorben.