Gastbeitrag „Nicht schon wieder eine Kaufprämie für Automobile“
Wuppertal/Berlin · Jörg Heynkes, Vizepräsident der Bergischen Industrie- und Handelskammer, fordert, dass die Politik Ideen für die Zukunft der Autoindustrie entwickelt.
Beim Gipfel im Kanzleramt ließen die Autobosse wieder die Motoren röhren: „Konjunkturbelebende Maßnahmen“ müssen her. „Kaufprämien“ sollen wegen des Umsatzeinbruchs zum Autokauf animieren. Fakt ist: Die Lobby von 800 000 direkten und bis zu einer Million indirekten Arbeitsplätzen konnte sich bislang immer so routiniert durchsetzen, dass sie Angela Merkel sogar noch in der Diesel-Affäre den wenig schmeichelhaften Titel „Autokanzlerin“ einbrachte. Und wer – wie kürzlich der Auto-Chef der Bild – noch mehr aufs Gas treten will, droht mit bis zu zehn Millionen Menschen, die irgendwie und irgendwo in Deutschland vom Auto abhängig seien. Hoffentlich hat er die Haustiere nicht vergessen mit zu zählen…. Zehn Millionen von 82 Millionen? Da wirkt finanzielle Hilfe durch „Abwrackprämien“ alternativlos.
Doch ist sie das wirklich? Ich bin überzeugt: Es ist höchste Zeit, sich aus der Geiselhaft der Autolobby zu befreien, denn es ist ökonomisch wie ökologisch klug, der Branche endlich einmal klare Bedingungen zu stellen und sie dann hierbei zu unterstützen. Diese Härte hilft sogar nachhaltig den mittelbar Beschäftigten, ob man nun mit 800 000 oder zehn Millionen rechnet. Ein bisschen ist es beim Auto wie bei der Kohle: Falsche Industrie-Romantik mit Rücksicht auf deutsche Wirtschaftsgeschichte macht noch keine Zukunft.
Man muss nicht ritualisiert Elon Musk bemühen, um wissen zu können, dass sich unser wichtigster Industriezweig in seiner Größe mindestens halbieren wird, weil das Auto der Zukunft ein Smartphone auf Rädern mit Elektroantrieb sein wird - und kein Verbrenner mehr, der in öligen Autowerkstätten bestenfalls ein Service-Update bekommt. Klar, wir brauchen Autos. Aber wir brauchen andere Autos: sauber, leise, langlebiger und effizient im Verbrauch. Und deshalb keine Prämien für Autos, die den notwendigen Umstieg von Benzin und Diesel auf umweltfreundliche Technologien weiter verzögern. Es ist eben nicht so, dass neue Autos per se besser für die Umwelt sind als alte.
Die letzte „Umweltprämie“ hat klar gezeigt, dass sie vor allem denjenigen genützt hat, die sowieso gekauft hätten. Die Neukäufe werden zu etwa zwei Dritteln von Unternehmen und Selbständigen getätigt. Davon werden die allermeisten Fahrzeuge zwischen drei und fünf Jahren geleast. Da sind „Spontankäufe“ wegen einer Kaufprämie völlig unlogisch. Eine sinnvolle Beförderung des notwendigen Wandels, wäre die Reduzierung der Besteuerung von Dienstfahrzeugen für reine E-Autos auf 0 Prozent. Dies würde einen echten Schub bringen. Doch Elektromobilität macht wiederum nur Sinn, wenn auch der Strom grün und günstig ist. Deshalb sollte der Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv vorangetrieben werden und die Stromsteuer halbiert werden, damit das E-Auto nicht teuren Kohlestrom tanken muss. Mindestens ebenso wichtig: der dringend notwendige Ausbau der
Ladeinfrastruktur mit superschnellem Laden an den Autobahnen mit 250-350 kw, schnellem Laden in den Städten an den Hotspots des Einkaufens mit 50-150 kw, dreiphasigem Laden mit 11-22 kw überall in den Städten - und einphasigem Laden von 2-3,5 kw in allen Tiefgaragen, an Wohngebäuden und in Wohngebieten. Vor allem aber auch auf den Parkplätzen der Unternehmen, damit die Mitarbeiter während der Arbeitszeit laden können. Hier sollten die Unternehmen in die Pflicht und unterstützt werden.
Warum ich gegen Abwrack-, Umwelt- oder Kaufprämien bin, hat auch Gründe, die ich als „Wahrhaftigkeit“ bezeichnen würde. Sagt den Menschen doch bitte die Wahrheit! Anders als die Politik sich das in meiner Heimat NRW bei den Kumpels unter Tage viel zu lange nicht getraut hatte und heute bei der Braunkohle wieder nicht traut. Die Automobilindustrie befindet sich auf globaler Ebene in einem nie dagewesenen Transformationsprozess hin zu Vernetzung, autonomem Fahren und Elektromobilität. VW-Vorstand Herbert Diess hat dies erkannt, indem er das Auto zum wichtigsten „Internet-Device unserer Gesellschaft“ ausgerufen hat. Doch zu dieser richtigen Erkenntnis, die Volkswagen im Vergleich zu BMW und Mercedes zum Vorreiter in Zukunftstechnologien machen kann, brauchte es offenbar erst den Dieselskandal, Elon Musk und den beeindruckenden technologischen Fortschritt zahlreicher asiatischer Hersteller.
Es braucht Rahmenbedingungen für autonomes Fahren
Hinzu kommt: In den kommenden zehn bis 15 Jahren werden wir in das Zeitalter der „Schwarmmobilität“ kommen, in dem der Individualbesitz von Fahrzeugen eingetauscht wird in die Dienstleistung und Service-Frage an den Schwarmbetreiber: „Wie und mit welchem Fahrzeug komme ich am komfortabelsten von A nach B? Auf Knopfdruck, sicher, preiswert und von jedermann nutzbar.“
Wenn wir in Zukunft technologisch nicht noch mehr von den USA und Asien abgehängt werden möchten, müssen wir sehr schnell die juristischen Rahmenbedingungen für den Ausbau und die Nutzung des Autonomen Fahrens schaffen. Dazu gehört die zügige Änderung des „Wiener Straßenverkehrsabkommens“, damit autonome Fahrzeuge mit Level 4 oder 5 in Deutschland überhaupt auf die Straße dürfen.
Das klingt komplex, aber das geht! Denn die Corona-Krise zeigt uns, dass politische Prozesse – wenn es darauf ankommt – schneller entschieden werden können als man uns oft glauben machen will. Anfang Juni wollen Autoindustrie und Bundesregierung noch einmal über „konjunkturbelebende Maßnahmen“ beraten. Was wir dann brauchen, ist eine echte „Wiederbelebung“ der deutschen Autoindustrie. Mit klaren Bedingungen und Investitionen in die Zukunft. Das Kanzleramt nennt so etwas verschwurbelt „Modernisierungsbeitrag in Richtung innovativer Fahrzeugtechnologien“. Das ist der richtige Weg aus der Geiselhaft, denn sonst ist der Patient „Autoindustrie“ schneller tot als der neue Leasingvertrag läuft.
Am Samstag schreibt Autohändler Marcus Jungmann über die Vorteile einer Kaufprämie