Was glauben Sie denn? „Bleibt hier und wacht mit mir!“

Wuppertal · Pfleger und Pflegerinnen in Krankenhäusern und Altenheimen arbeiten am Limit und wünschen buchstäblich, jemand würde mit ihnen wachen, nicht nur in der Nachtwache.

Ilka Federschmidt - Freisteller

Foto: Kirchenkreis Wuppertal

Das sind Worte, die in diesen Tagen vielen aus der Seele sprechen mögen. Kein Besuch im Altenheim durch die Lieb-
sten möglich. Sehnsucht nach der Familie in häuslicher Quarantäne, auf der Isolierstation, in den Krankenzimmern. Man wünscht sehnlich, sie könnten da sein, bei einem bleiben, mit einem aushalten, wachen. Pfleger und Pflegerinnen in Krankenhäusern und Altenheimen arbeiten am Limit und wünschen buchstäblich, jemand würde mit ihnen wachen, nicht nur in der Nachtwache. Aber das Personal fehlt.

Bleibt hier und wacht mit mir! – seufzen Menschen, deren Schicksal für uns zur Zeit in den Hintergrund tritt, weil unsere Energie so in der Bewältigung der eigenen Situation gebunden ist: So die geflüchteten Kinder und Erwachsenen auf den griechischen Inseln; und Idlib – Idlib in Syrien: gibt’s das noch? Wieviel Flehen mag es geben, das wir zur Zeit kaum wahrnehmen: Bleibt bei uns, wacht über der Situation, seid wachsam für das Menschenrecht, für unsere Lebenswelt, lass uns nicht im Stich!

Es ist gar nicht so leicht, wirklich, konsequent, bei jemandem zu bleiben, mit jemandem zu wachen. Die Umstände machen es schwer oder unmöglich. Die eigenen Sorgen nehmen einen so in Beschlag, dass man sich auf die Sorgen anderer gar nicht konzentrieren kann. Das kann einer ganzen Regierung so gehen, wo das Krisenmanagement alles fordert. Man ist überfordert, schaltet ab.

„Bleibt hier und wacht mit mir!“ Das sind Worte von Jesus. „Meine Seele ist zu Tode betrübt“ vertraut er seinen Freunden und Jüngern an. In einem Olivenhain auf dem Ölberg vor Jerusalem, im „Garten Gethsemane“, ringt er damit, was ihm bevorsteht. Verhaftung, Misshandlung, Tod. „Bleibt bei mir, haltet mit mir aus und durch“, so bittet er sie. Ja, und das wollen sie auch. Aber sie werden müde, erschöpft. Die drohende Situation ist zu übermächtig. Sie schaffen es nicht. Die Augen fallen ihnen zu.

Nein, es ist nicht leicht, wirklich bei jemandem zu bleiben und zu wachen, wenn die Situation so schwer ist und die eigenen Grenzen schnell erreicht sind.

In unserer Kirche begehen wir gerade die „Passionszeit“. Das geht fast unter in diesen Corona-Zeiten. Wir lassen uns erinnern an jenen Abend im Garten Gethsemane, an die Passion, die Jesus für uns Menschen aufgebracht hat mit seinem ganzen Leben, und an die Passion, die er dafür erlitten hat in Gefangennahme, Misshandlung, Tod. Wir lassen sie uns nahe gehen, diese zutiefst menschliche Bitte: „Bleibt hier und wacht mit mir!“ (Matthäus 26,38) Wir lassen uns erinnern, dass Jesus selbst durch bittere Stunden gegangen ist, und daran, dass er uns darum in solchen schweren Situationen nahe ist. Jesus ist an der Seite der Menschen, deren Seele wie die seine damals zu Tode betrübt ist. Und er hält treu an seinen Freunden fest, die erschöpft einschlafen und es nicht schaffen, bei ihm zu bleiben.

Er selber ist es, der am Ende bleibt. Und wacht. Nämlich bei uns und mit uns und über uns.

Das glauben Christenmenschen. Sie sehen in diesen Tagen Jesus an der Seite von Kranken und ihren Angehörigen, an der Seite von Pflegern und Ärztinnen, auch von Seelsorgern. Wir sehen ihn an der Seite der Flüchtenden, der Menschen, die ins Elend gestürzt werden. Und er ist zugleich unser Gedächtnis, wo wir Menschen aus den Augen verlieren. Er ist die unbestechliche Stimme, die uns wachruft, nicht die Augen zu verschließen gegen Unmenschlichkeit und Egoismus: „Bleibt! Wacht! Haltet die Liebe durch!“ Darin liegt – so übersetzen wir heute gerne „Glauben“ – eine enorme spirituelle Kraft, die sich nicht abfindet mit den menschlichen Passionen heute und die nicht kapituliert vor den eigenen engen Grenzen. Eine enorme spirituelle Kraft, die aus dem Vertrauen kommt, dass der verzweifelt Beter aus dem Garten Gethsemane auch der ist, der selber bei uns bleibt und wacht.
Ich finde, das ist ein sehr guter Grund, die Passionszeit in den verbleibenden Tagen vor Ostern bewusst zu begehen, gerade jetzt. Um dann umso mehr Ostern zu feiern, das Fest der Hoffnung!