Kommunalpolitik muss Schule machen
Niedrige Wahlbeteiligungen gefährden die Demokratie.
Wuppertal. Am vergangenen Sonntag ist so manchem alten politischen Haudegen der Schrecken in die Glieder gefahren. Nicht einmal mehr 37 Prozent der Berechtigten haben von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Für die Stichwahl am 27. September gehen Pessimisten sogar von einer Beteiligung unter 30 Prozent aus. Egal ober der Oberbürgermeister künftig weiter Peter Jung heißt oder Andreas Mucke — demokratisch legitimiert, kann sich eigentlich keiner von beiden fühlen. Wenn von gut 270 000 Berechtigten nur 90 000 ihre Stimmen abgeben, dann ist der Chef von Rat und Verwaltung im Extremfall gerade einmal von 45001 Wuppertalern gewählt worden. Das sind knapp 13 Prozent aller Einwohner und knapp 17 Prozent aller Wahlberechtigten. Von demokratischer Mehrheit kann da niemand mehr im Brustton der Überzeugung reden.
An dieser Misere ist offenbar aber einmal nicht die Große Kooperation aus CDU und SPD im Stadtrat schuld. Die gibt es schließlich nicht in jeder Kommune, aber die Wahlbeteiligung war überall gleich schlecht.
Woran also liegt es, dass sich so wenige Menschen dafür interessieren, was die Damen und Herren in den Stadträten entscheiden? Vermutlich sind viele Wähler auch auf kommunaler Ebene an Parteien gebunden. Wenn der Oberbürgermeister gewählt wird und der Kandidat der bevorzugten Gruppierung hat keine Aussicht auf Erfolg oder eine Partei stellt wie die FDP in Wuppertal gleich gar niemanden auf, ist die Neigung zur Wahlurne zu gehen eher gering ausgeprägt.
Wenn ein Kandidat den Eindruck erweckt, dass Rennen sei bereits gelaufen, kann auch das kontraproduktiv sein. Vielleicht war sich Peter Jung seiner Sache ja zu sicher. Dass er gegenüber 2009 fast 21 000 Stimmen verlor, wäre dafür eine Erklärung, gepaart mit dem Ausdruck von Unzufriedenheit.
Außerdem hat Jung einen Wahlkampf ohne CDU gemacht. Das wird einige Anhänger der Christdemokraten von der Wahlurne abgehalten haben.
Aber selbst wenn die 21000 doch zur Wahl gegangen wären, dann wäre immer noch mehr als jeder Zweite zu Hause geblieben.
Das hat vor allem zwei Gründe: Erstens spielt lokale Politik in überregionalen Medien naturgemäß keine Rolle. Wer wollte in Wuppertal schon im Fernsehen darüber informiert werden, wer Stadtkämmerer beispielsweise von Korschenbroich am Niederrhein ist? Überregionale Medien berichten über überregionale Politik. Deshalb kommt dem Betrachter der Bundestag wichtiger vor als der Stadtrat.
Zweitens ist das Wissen um Macht und Einfluss von Kommunalpolitikern und Stadträten nicht weit genug verbreitet. Wer sich nicht grundsätzlich für Politik in seiner Heimatstadt interessiert, wer nicht auf lokale Medien zurückgreift, der kommt sehr wahrscheinlich erst dann mit Kommunalpolitik in Berührung, wenn er einen Kindergartenplatz für seinen Nachwuchs sucht und keinen findet. Oder er bemerkt es, wenn sein Kind von der Schule kommt und sich über den Zustand der sanitären Anlagen beschwert. Oder wenn die Stoßstangen seines Autos vor Schlaglöchern und Wurzelwerk im Asphalt kapitulieren. Und selbst das alles bringt längst nicht jeder mit den Entscheidungskompetenzen von Stadt- räten in Verbindung.
Wer für dieses Thema weitgehend gleichverteiltes Wissen organisieren will, der muss dafür sorgen, dass Kommunalpolitik es in die Schulen schafft. Stadt sich mit den Systemen anderer Staaten zu beschäftigen, könnte doch auch die Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen ein Thema sein. Anschauungsunterricht gäbe es regelmäßig in den Ratssälen. Dass Grundschüler die Hauptstädte der deutschen Bundesländer auswendig lernen, reicht jedenfalls nicht aus.