Silvester Der Himmel über Ölberg oder Montmartre: Wie Wuppertaler Kunstschaffende den Jahreswechsel verbringen

Wuppertal · Sechs bekannte Kulturschaffende aus Wuppertal erzählen, was sie vom Jahreswechsel halten. Same procedure as every year?

Ein Glas Sekt oder Champagner und ein Feuerwerk gehören für viele Menschen zum Silvesterabend dazu. Welche Traditionen haben Kulturschaffende aus Wuppertal?

Foto: dpa/Jean-Christophe Bott

„Same procedure as every year“ ist ein überaus populärer Spruch, der besonders an Silvester in aller Munde ist. Er stammt aus dem 1963 gedrehten englischen Fernseh-Film „Dinner for One“. In vielen deutschen Haushalten läutet der einmalig schöne Dialog zwischen Miss Sophie und ihren Gästen – Sir Toby, Admiral von Schneider, Mr. Pommeroy und Mr. Winterbottom, die alle Butler James mimt – traditionell den Jahreswechsel ein. Gehört dazu wie bestimmte Mahlzeiten, Feuerwerk oder Vorsätze. Die WZ wollte wissen, wie es bekannte Wuppertaler Kulturschaffende mit Traditionen zum Jahreswechsel halten. Ob dieser ihnen überhaupt wichtig ist, wie sie ihn in diesem Jahr verbringen und ob sie sich an ein besonderes Silvester erinnern können.

Bettina Milz

Bettina Milz

Foto: Fischer, Andreas H503840

„Silvester und der Start ins neue Jahr sind für mich wichtig und aufregend. Die meisten Dinge in der Natur erfolgen in Kreisläufen, so geht auch mit dem Jahr etwas zu Ende, etwas Neues startet und zugleich gibt es eine Kontinuität – für uns Menschen schwer zu begreifen. Auf jeden Fall ist es eine gute Gelegenheit, noch mal zu betrachten, was mir ganz persönlich begegnet ist und was die Welt bewegt hat. Letzteres war in diesem Jahr sehr beunruhigend. – In diesem Jahr feiere ich einen ganz besonderen Jahreswechsel. Meine beiden Kinder sind derzeit am anderen Ende der Welt in Neuseeland auf einer kleinen traumhaften Insel. Dort werden wir uns über den Sternenhimmel und vielleicht auch über ein kleines Feuerwerk freuen und mit vielen Freunden feiern. Once in a lifetime! – Vor sehr vielen Jahren bin ich mit Freunden auf dem Weg von Bremen nach Hamburg in einer enormen Menge Schnee stecken geblieben. Zwangsläufig zurück in Bremen war die Welt endlich autofrei, überall sind die Menschen mit Langlaufskiern, Schlitten oder in dicken Winterstiefeln freudig unterwegs gewesen. Der viele Neuschnee erzeugte eine ganz besondere Akustik. Keine Maschinengeräusche, nur Menschen und Freude über den Ausnahmezustand. Und so war auch das Fest bei Freunden, die uns aufgenommen haben.“

Bettina Milz ist inhaltliche Koordinatorin und Leiterin der Vorlaufphase des Pina Bausch Zentrums.

Roland Mönig

Roland Mönig

Foto: Von der Heydt-Museum

„Einerseits sind Silvester und Neujahr Tage wie alle anderen auch. Die Daten sind willkürlich gesetzt, eine kulturelle Übereinkunft. Andererseits markieren sie eine Zäsur: ein Ende und einen Anfang. Ich messe dem keine zu große Bedeutung bei und sehe mich dadurch nicht unter Druck oder Zwang. Aber ich nehme diesen Moment des Übergangs als Anlass, das Gewesene gegen die Erwartung des Kommenden, Planungen und Hoffnungen gegen Erlebtes und Erreichtes abzuwägen. – Tradition bei uns hat es, sich überraschen zu lassen. Jedes Silvester verläuft anders: manchmal im Stillen, manchmal feiernd mit Freunden. Wir planen nicht eigens darauf hin, sondern lassen den Tag auf uns zukommen – wie auch das neue Jahr. – Sehr präsent ist für mich Silvester 2020, als das öffentliche Leben wegen der Corona-Pandemie zum Erliegen gekommen war und wir alle in der Isolation waren. Dank Telefon, E-Mail und Social Media standen meine Frau und ich durchgehend im Austausch mit Familie und Freunden. Umso einschneidender habe ich empfunden, dass wir real niemand treffen konnten. Zumal klar war, dass wohl noch Wochen vergehen würden, ehe eine Besserung der Situation eintreten würde.“

Roland Mönig ist Direktor des Von der Heydt-Museums.

Cordula Gladrow

Cordula Gladrow

Foto: ANNA SCHWARTZ

„Im Partytrubel in der Börse an der Wolkenburg oder mit Freunden und Familie – Silvester ist für mich persönlich ein wichtiger Zeitpunkt im Jahresverlauf. Ich halte noch mal inne, lasse in Dankbarkeit los, was war, und heiße willkommen, was kommen soll. Und wie alle Menschenkinder schicke ich meine Hoffnung in den Himmel, dass am Ende alles gut wird. – Der Jahreswechsel kommt immer so plötzlich, und die Art, wie wir ihn begehen, ergibt sich häufig erst kurz vorher ganz von alleine. Ich bin in der jetzigen Lebensphase niemand, der ein Jahr im Voraus die Hütte in den Bergen oder das Ferienhaus am Strand bucht. Aber eine wichtige Konstante gibt es: Zu Silvester gehören Glückskekse! – Ein besonderes Silvester liegt noch gar nicht lange zurück. Es war das Jahr, in dem pandemiebedingt Böllerverbot galt und wir nur zu dritt feierten. Nicht zum ersten Mal bei einer sehr lieben Freundin auf dem Ölberg. Von ihrem Balkon aus hat man eine grandiose Sicht auf die Stadt. Es schlug Mitternacht – und wir hörten ausschließlich das Neujahrsgeläut der Laurentiuskirche. Das war für mich eine sehr ergreifende Erfahrung. Ich muss zugeben, dass mir in dem Moment weder die beißenden Rauchschwaden noch das Pfeifen und Knallen der Feuerwerkskörper gefehlt haben.“

Cordula Gladrow ist Direktorin der Stadtbibliothek Wuppertal.

Florence Millet

Foto: ANNA SCHWARTZ

Florence Millet

„Feiern ist eine gute tägliche Übung in kleinen Dingen: Erster Blick in den Garten, in die Beleuchtung des Himmels … Eine Jahreswende klingt nach Freunden, Tanzen, Feuerwerk, kühlem Champagner mit feinen Bläschen. Mein Vater tanzte uns, meine Mutter, dann mich, zu Hause kurz vor Mitternacht schwebend in das neue Jahr hinein. Wiener Philharmoniker, Walzer, langes Kleid, Smoking, tralala. Viele Küsschen in die Runde verteilten sich. Eine Stimmung der Leichtigkeit des Seins über die frühen Morgenstunden mit Gespür für Zeitlosigkeit. – Dieses Jahr wird es kleiner, intim. Es passiert so viel Schwerwiegendes auf der Welt, ganz schwerelos kann ich mir einen Jahresrutsch nicht vorstellen. Aber weiter möchte ich üben und lernen, die Zeit im Jetzt spüren, dabei die Wendung zu einer gemeinsamen Fortsetzung mit Rückblick auf Geschehenes zelebrieren. – Ganz besonders fand ich ein Silvester in Vorarlberg, Österreich, 2000 Meter hoch in den Alpen, wo jedes Haus, Hotel, jede Herberge sein eigenes Feuerwerk schießt. Die Stadt Sankt Anton orchestrierte das spektakuläre Finale mit Fackel tragenden Skifahrern. Wie wir es in der dazu passenden nächtlichen Schneeschuhnachtwanderung und Schlittenabfahrt begleitend erlebten! – Höhen und Tiefen, steigen und rausblicken, all das gibt es, wo ich wohne: Paris Montmartre oder Wuppertal Sedansberg. Den Himmel beobachtend, unterm Dach, stelle ich meine besondere Kühlware in die Luke: eine Flasche Bach, die ich in Wuppertal entdeckt habe und nur in Barmen kaufen kann, ein Merkmal des Zelebrierens. Dies trinkt man mit besonderen Gläsern, die auf Französisch „Flûte“ (Flöten) heißen. Sogar Fußballer M‘Bappé spielt Flöte … Ob er auch dachgekühlten Bach Champagner trinkt?“

Florence Millet ist Geschäftsführende Direktorin der Musikhochschule in Wuppertal.

Boris Charmatz

Boris Charmatz

Foto: Fries, Stefan (fri)

„Seit einigen Jahren fahre ich zu Weihnachten nach Dänemark zu meinen Schwiegereltern. Das Menü ist stets dasselbe, gegen den Entenbraten kommt der Wunsch einiger Gäste nach vegetarischem Essen nach wie vor nicht an. Und beim Tanz um den Weihnachtsbaum und beim Eisbaden in der Nordsee denke ich: Ich bin wahrscheinlich immer noch das Kind, für das dieses Fest die schönste Zeit des Jahres war. – Dieses Jahr jedoch lässt mich der Gedanke nicht los, dass es an der ukrainischen Front zur Weihnacht keine Waffenruhe gibt: Ein ganzes Volk, dem fast alles genommen wurde, erlebt selbst an den Festtagen zum Jahresende den Schrecken des Krieges. Ich erinnere mich an jenes Theaterstück, das ich wahrscheinlich vor 40 Jahren gesehen habe. Es ging genau um das Thema „Weihnachten an der Front“ der Soldaten im Ersten Weltkrieg. Diesem Stück lag eine wahre Begebenheit zugrunde, als die deutschen Soldaten aus den Schützengräben herauskamen und versuchten, in ungewissem Französisch „shuajeu Noëll“ zu rufen. Vor mehr als hundert Jahren widersetzten sich diese Männer den Anweisungen ihrer Kommandeure, trafen sich mit den englischen, belgischen und französischen Feinden und versuchten sogar, ein Fußballspiel zu bestreiten! An diesen Moment, in dem sich die Brüderlichkeit gegen alle Widrigkeiten durchgesetzt hat, will ich denken. – Am 4. Januar beginnen wir mit den Proben für mein erstes Stück am Tanztheater Wuppertal: 36 Tänzerinnen und Tänzer mit vollem Körpereinsatz. Allerdings bin ich mir sicher, dass sie schon in der Silvesternacht wie verrückt tanzen werden! Das wünsche ich natürlich auch Ihnen: eine Nacht voller Tanz, mit einem gelungenen Rutsch ins Jahr 2023.“

Boris Charmatz ist künstlerischer Leiter des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch.

Thomas Braus

Thomas Braus

Foto: Uwe Schinkel

„Grundsätzlich ist Silvester für mich kein besonderer Tag, der Abend wird aber zumindest ganz klassisch im Familienkreis mit Raclette begangen. – Tatsächlich erinnere ich mich an einen sehr besonderen Silvesterabend, ich stand damals für eine Doppelvorstellung auf der Bühne und mein Sohn, der gerade erst anderthalb Jahre alt war, musste ins Krankenhaus. Ich habe mich dann zwischen den Vorstellungen – noch im Kostüm – von dem damaligen Chefdisponenten ins Krankenhaus fahren lassen. Das Feuerwerk im Anschluss haben wir dann alle gemeinsam, mit meiner Frau und meiner damals drei Monate alten Tochter, aus dem Krankenhauszimmer geschaut und glücklicherweise konnten wir direkt am nächsten Morgen schon wieder nach Hause fahren.“

Thomas Braus ist Intendant des Schauspiels Wuppertal.