Ein Senkrechtstarter bei Johannisberg International

Andris Nelsons dirigierte das City of Birmingham Orchestra.

Elberfeld. Wenn die hohen Erwartungen, die man an ein Konzert knüpft, nicht nur erfüllt, sondern sogar übertroffen werden, kann man von einem unvergesslichen Erlebnis sprechen. So geschehen beim Start in die Reihe "Johannisberg International", wo im großen Stadthallen-Saal das City of Birmingham Orchestra unter dem jungen lettischen Dirigenten Andris Nelsons und die Cellistin Sol Gabetta gastierten.

Nelsons ist ein Phänomen: Wie er in die Musik eintaucht, sie mit beiden Händen wie ein Bildhauer formt, den Stab unbekümmert von rechts nach links wechselt, hin und wieder gar nicht dirigiert, sondern entzückt "seinem" Orchester lauscht, sich mit den Musikern über besonders gelungene Passagen freut - das ist berührend und beglückend zugleich. Es zeigt, dass sich der temperamentvolle 30-Jährige, dem eine große Zukunft vorausgesagt wird, in Fragen der Stilistik und Interpretation absolut sicher ist.

Dennoch hebt er nicht ab, ist gut geerdet und wirkt natürlich. Seine Sichtweise auf Beethovens Fünfte vibriert von Energie, ist revolutionierend kreativ: Man glaubt, jede Note zu kennen, und entdeckt doch unablässig Neues im kontrastvollen Spiel von federnder, majestätischer Wucht und ersterbenden Klängen.

Die Meeres-Stimmungen der "Sea Interludes" aus Benjamin Brittens Oper "Peter Grimes" zeichnen die Musiker in der "Dämmerung" als fahles, hohes Streicher-Unisono, im Satz "Sonntagmorgen" mit kecken Bläsern, sanfter Celli-Weise und bewegtem Wellenrauschen der Streicher, in das Glockengeläut klangbetont einbricht. Der "Sturm" verrät viel von der dramatischen Opern-Handlung: Die Engländer lassen ihn sirren, heulen, sausen und dahinjagen - eine elementare, aufwühlende Musik.

Sol Gabetta ist die Solistin in Edward Elgars Cello-Konzert von 1919. Die junge Cellistin besticht mit tiefem Verständnis für die von Trauer, Resignation und Melancholie geprägte Musik. Dabei trägt sie nicht schmachtend-romantisch dick auf, sondern lässt ihr kostbares Guadagnini-Instrument in ausdrucksvollen Kantilenen schlicht klagen und singen.

In den irrwitzig schnellen Läufen agiert sie perfekt, taucht mit dem ganzen Körper ein in die ebenso rauschhafte wie pointierte Musik. Ihre Solo-Zugabe von Peteris Vascs, einem führenden lettischen Vertreter der neuen Musik, ist ein heiseres Flattern von vertrackten Flageoletts und Doppelgriffen wie von Insektenflügeln im Pianissimo.

Dazu singt sie wortlos eine traurige Weise - am Ende ist atemlose Spannung im Saal, die in Jubel und stehende Ovationen umschlägt.