Torsten Krug über das Sichtbarsein Flanieren als künstlerischer Akt

Wuppertal · Torsten Krug macht sich Gedanken über das Sichtbarsein.

Torsten Krug vom Freien Netzwerk Kultur arbeitet als Regisseur, Autor und Sänger.

Foto: Fischer, A. (f22)/Fischer, Andreas (f22)

Auf Arte lief jahrelang die legendäre Reihe „Durch die Nacht mit …“: Zwei mehr oder weniger prominente Menschen aus dem Kulturleben wurden nachts in ein Taxi gesetzt und sich selbst überlassen. Unterwegs waren einige Begegnungen und Orte des Verweilens für sie arrangiert, ansonsten war es an ihnen, miteinander ins Gespräch und bestenfalls sich näher zu kommen. Nur Wenige verführte die Kamera zur Selbstdarstellung. Meist entstanden Momente von ungewöhnlicher Nähe und Authentizität, die mich als Zuschauer tatsächlich teilhaben ließen an einer Begegnung.

Das Forum Freies Theater in Düsseldorf, kurz FFT, feierte vergangenen Freitag eine Corona-inspirierte Mini-Premiere, wobei „Mini“ nur die Zahl der Teilnehmenden meint, nämlich zwei. Ihr neu entwickeltes Format „Walk & Talk“ lief zum ersten Mal – nein, nicht über die Bühne, sondern: durch die Stadt. Gespielt wurde dabei auch nicht direkt: Jeden Freitag um 17 und 18 Uhr brechen ein Theatermensch und ein vorangemeldeter Gast zusammen zu einem impulsgebenden Spaziergang auf und reden über Theater und die Welt. Was soll, was kann, was darf Theater? Und wie wird seine Zukunft sein? Fragen, die sich nicht nur Theaterleute, sondern auch ihr Publikum stellen. Für den Fall, dass die Gespräche nicht gleich in Gang kommen, bekommen Theatermensch und Publikumsmensch drei Umschläge mit, in denen eine Route und Fragen enthalten sind: Was mache ich beruflich? Bin ich dabei sichtbar? Wer bin ich in der Stadt? Ich stelle mir so einen Spaziergang sehr spannend vor. Quasi ein Blind Date, schafft es Raum und Zeit für eine Begegnung auf Augenhöhe, wie sie sonst selten, auch nicht in Publikumsgesprächen entsteht.

Auch der Skulpturenpark in Wuppertal lädt zu Spaziergängen mit Kunstbetrachtung ein: „Parkgespräch“ heißt das Format, bei dem man von Juni bis November an jedem zweiten Freitag im Monat ab 16 Uhr in Begleitung einer Moderatorin den Park erkunden und sich in lockerer Atmosphäre über die Kunstwerke und damit verwandte Themen austauschen kann. Eine Stadtführung zu Lebensorten Friedrich Engels, höre ich, ist ein großer Erfolg. Die Aktion „Out and about“ in Wuppertal bietet Kunst auf Plakatwänden im öffentlichen Raum. Kürzlich lockte der Aktionstag zur „Freiheit der Kunst“ zahlreiche (jedoch bewusst möglichst einzelne) Spontan-Gäste an. Besonders eindrücklich für mich: Namhafte Tänzerinnen und Tänzer aus unserer großen Tanzstadt erzeugen am Islandufer unter allen Schaulustigen eine intensive Stille, allein durch ihre Bewegungen oder ihr Verharren. Man hätte mit ihnen in die Wupper rennen mögen! Und das Geräusch am Ende klang überraschend und ungewohnt, wie neu: Applaus!

Der Park, der öffentliche Raum (oder das Museum mit Schauspielern) sind die Kunsträume der Stunde. Hier können wir Abstand halten und uns dennoch berühren lassen. Es steckt eine Chance darin, sich unter freiem Himmel in kleinen Gruppen zu begegnen und dabei Kunst und seine Stadt neu zusammenzudenken. Das Denken beim Gehen, das Schauen und Sprechen, sich in Bewegung Setzen, das alles hat eine lange philosophische Tradition, die es wieder zu entdecken gilt. Wenn wir ab jetzt ein Jahr lang statt in der Schwebebahn zu Fuß und auf hoffentlich unverzüglich eingerichteten breiten Fahrradspuren durch unsere Stadt flanieren werden, können wir auch das zu einem künstlerischen Akt machen. Selten wurde so intensiv an der sozialen Skulptur gestaltet wie heute. Gut, dass schon das Beuys-Jahr vor der Tür steht.