Helden auf dem Schrottplatz
Wuppertalerbühnen: Kathrin Sievers erzählt „Die Nibelungen“. Das Trauerspiel feierte am Samstagabend Premiere im Schauspielhaus.
Wuppertal. Vielleicht hätte ihm viel früher jemand den Kopf waschen sollen. Am Ende hat er’s nicht besser verdient: Weil sein maßloser Übermut offenbar nur mit Waffengewalt zu stoppen ist, landet Siegfried (Frederik Leberle) da, wo der Held der Eitelkeit ohne Schongang hingehört - in der Waschmaschine. Kaum hat ihn Hagen (Henning Heup) von hinten niedergestreckt, bringt er den Toten schadenfroh in Stellung: Siegfried endet mit dem Kopf vornüber in der Trommel.
Wie die tragischen Gestalten, die Friedrich Hebbel in seinem Trauerspiel "Die Nibelungen" an Liebe, Leid und Lügen verzweifeln lässt, mit sich selbst und mit anderen umgehen, spricht für sich: Im Schauspielhaus wäscht keiner seine Hände in Unschuld. Dafür halten alle an Rachegedanken und Symbolen der Neuzeit fest - an Waschmaschine, Bierkiste, Auto.
Um im Bild zu bleiben: Die Inszenierung von Kathrin Sievers ist keinesfalls Schrott, auch wenn alles danach aussieht. Denn die Ausstattung von Annette Wolf holt die sagenhafte Geschichte auf eine moderne Ebene: Die Altwaren, die bergeweise die Bühne füllen, führen die Figuren auf unbequeme, schräg abfallende Pfade - und den Zuschauer zu der Erkenntnis, dass das neue Gold aus Stahl, Metall oder Blech besteht. Während die Ritter von einst um den Hort kämpfen, sind die Ressourcen von heute auf dem Schrottplatz zu finden. Irritierend ist nur, dass der Kampfplatz stets derselbe bleibt, ganz egal, ob im Reich von Brunhild, Gunther oder Etzel (Hans Richter) geliebt, betrogen und gehasst wird.
Dabei gilt eines in Island genauso wie in Worms: Dass an den Schätzen der Gegenwart unaufhörlich der Rost nagt, ist so unvermeidlich wie das finale (Gefühls-)Gemetzel. Die Welt der Meuchelmörder liegt in Schutt und Asche, ihr moralisches Wertesystem ist in Unordnung geraten - wie der Schrotthaufen, auf dem beide Parteien (erfolglos) versuchen, ihr Image als Saubermänner zu bewahren.
Dass der Rachefeldzug in eine Sackgasse führt, lässt sich schon beim Blick auf den Höhe-Punkt des Schrotthaufens erahnen, der ein Fahrzeug ist: Statt eines Throns bleibt dem königlichen Personal nur ein ausgeschlachtetes Auto. So steuert das Spiel um Treue, Betrug und Hass mit Vollgas auf die Katastrophe zu.
Sievers erzählt das mittelalterliche Epos mit Spannung und Witz, kann ihr Konzept, den alten Sagenstoff mit neuen Modewörtern zu würzen, aber nicht durchhalten. Das liegt nicht zuletzt an der Tragik der Geschichte: Während im ersten Teil vor allem Frederik Leberle als stürmischer Siegfried mit flotter Zunge und frecher Wortwahl punktet, schlägt nach der Pause Kriemhilds große (Rache-)Stunde.
Die Regisseurin konzentriert sich auf die Hauptfiguren - und das ist gut so. Dabei wurde das Mammutwerk gekürzt, ohne dass das Verständnis auf der Strecke bleibt. Die größte Stärke der Inszenierung aber ist das ausgezeichnete Ensemble, das die Figuren trotz Mythologie und übernatürlicher Kräfte zu Menschen mit Stärken und Schwächen macht. Schuldig sind sie alle.
Vor allem die Frauen entwickeln eine eindrückliche Präsenz inmitten eines eher wankenden Männerhaufens. An Kuohn vollzieht als Kriemhild eine grandiose Wandlung von der arglos Liebenden zur unnachgiebigen Rächerin. Maresa Lühle-Pitoll verleiht "ihrer" Brunhild mit jeder Geste stillen Stolz, ist so verletzlich wie stark und wirkt selbst im Moment größter Erniedrigung erhaben. König Gunther (Andreas Möckel), der sein "Bruni-Mäuschen" zur Hausfrau degradiert, kann seiner Frau nicht das Wasser reichen - auch wenn Brunhild am Ende nur der Kampf mit der Waschmaschine bleibt.
"Drachentöter" Frederik Leberle erhält zu Recht Szenenapplaus - wenn er galant-arrogant von Abenteuern mit "zwei Zwergen am Spieß" berichtet, Brunhild zur "Granate" abstempelt und sich in maßloser Selbstüberschätzung unverwundbar glaubt.
So ist das Spiel in der Mördergrube kurzweilig, mitreißend und bis ins Detail berührend - dann etwa, wenn zwei Männer die Hochzeitstorte für die mit List besiegte Brunhild wie Totengräber tragen. Oder wenn Brunhild und Kriemhild auf der schleudernden Waschmaschine sitzen, als ob sie amazonenhaft in den Kampf reiten. Hier "thronen" zwei Frauen, die sich von Männern domestizieren, ihre Willenskraft aber nicht brechen lassen.