Himmlische Grenzerfahrung

Bettina Pousttchi bringt Matratzen, Autoreifen und Absperrgitter in die Kunsthalle. Bis zum 24. Februar stellt sie in Barmen aus.

Wuppertal. Singen kann man nicht nur unter der Dusche. Und auch eine Matratze ist nicht allein zum Schlafen da. Dass ein Playback-Auftritt in der Autowaschanlage genauso viel Spaß machen kann wie ein Luftgitarren-Spiel im Bettenlager, zeigt Bettina Pousttchi ab Sonntag in der Kunsthalle Barmen.

Auf aufgeweckte Besucher wartet (nicht nur) ein ungewöhnlicher Blick ins Matratzenlager, in dem die Berliner Künstlerin ihren ehemaligen Nachbarn filmte, um zu beweisen, dass der tätowierte Heavy-Metal-Fan keine Schlafmütze, sondern ein ambitionierter Rocker ist. Direkt daneben wird sein weibliches Pendant an die Wand projiziert: Eine Essenerin tanzt trällernd durch die Autowaschanlage ihres Vaters.

Die unterschiedlichen Hauptdarsteller verbindet eine Gemeinsamkeit: Wenn sie den Arbeitsplatz zur Showbühne machen, ist das ungewöhnlich, komisch und genau deshalb wohl durchdacht. Denn die Details haben sich gewaschen - nicht nur in der Wagen-Oase, in der das Tankstellen-Girlie ein Kindermikrofon zückt. Auch der Matratzen-Mix wirkt absurd: Der nimmermüde Nachbar zeigt seine harte Seite, rockt aber vor federweicher Kulisse.

Die selbstironischen Sehnsuchts-Studien spielen mit Wunsch und Wirklichkeit. Keine professionellen Schauspieler, sondern Menschen aus ihrem realen Umfeld hat Pousttchi augenzwinkernd porträtiert. Die munter-mutigen Musikfans, die ihren Alltag bereichern, indem sie ihre Vorbilder imitieren, werden für wenige Minuten selbst zu Stars - zumindest an der Wand.

Wer sich auf die kurzen Einspielungen einlässt, dürfte staunen wie ein Auto, denn die Atmosphäre ist entsprechend skurril: Die Gummireifen und Matratzen, die bis zum 24. Februar als Sitzgelegenheiten genutzt werden dürfen, passen bestens zur Botschaft der abwechselnd gespielten Doku-Clips - einer Mischung aus Dokumentarfilm und Videoclip. "Der projizierte und der reale Raum sollen verschmelzen", erklärt die 36-jährige Künstlerin.

Das gilt natürlich auch für den Straßenpfosten, der nur wenige Schritte weiter einsam und allein aus dem Boden ragt - vor großformatigen Fotos. Der Weg vom Auto zum Flugzeug ist nämlich nicht weit. "Take Off" heißt die Serie von 2005, die den Flughafen Tempelhof in Puzzleteile zerlegt, damit durch das Auge des Betrachters "ein Film im Kopf entstehen kann".

Dass die verfremdeten Schwarz-Weiß-Aufnahmen an Bilder aus Überwachungskameras erinnern, hat seinen Grund. Sie sollen nicht nur "ein latentes Gefühl von Kontrolle und staatlicher Überwachung", sondern vor allem auch Pousttchis "Interesse an Grenzen und ihren Überschreitungen" vermitteln.

Die Erkenntnis, dass Kunst grenzenlose Assoziationen wecken kann, liegt in der Luft, denn der wahre Höhepunkt der Ausstellung ist die Fotoserie "Parachutes" (2006). Dabei kommt die Gesellschafts- und Kriegskritik nicht aus heiterem Himmel, sondern symbolisch daher. "An einem eigentlich grauen Sonntag" hat die gebürtige Mainzerin eine Flugschau fotografiert. Nun spielt sie mit einem klassischen Motiv: Blauer Himmel und weiße Wolken wären eigentlich eine idyllische Aussicht - wenn da nicht die Militärhubschrauber wären, durch die "ein Gefühl von permanenter Bedrohung" mitschwingt.

Farbe bekennt Pousttchi auch an anderer Stelle. Die Absperrgitter, die sie verbogen, schwarz lackiert und damit zu Skulpturen erklärt hat, zeigen, dass man Grenzen ganz real überwinden kann. Und dass die Botschaft der Ausstellung alles andere als abgehoben ist: Was man zu kennen glaubt, kann man im Spiegel der Kunst neu entdecken.