Interview mit Andy Scott „Kein Rockstar geht heute mehr in Rente“
Andy Scott, seit 46 Jahren Gitarrist bei The Sweet, über geschminkte Musiker zu Glamrock-Zeiten, Kopfhörer und Krebs.
Wuppertal. Andy Scott hat es ja erst mit einer Banklehre versucht, aber die Musik war doch stärker. 1970 stieß der gebürtige Waliser auf eine Anzeige, in der eine „vielversprechende Band“ einen Gitarristen suchte. So kam er zu The Sweet. Als letztes Mitglied der Anfangsbesetzung tourt er auch heute noch mit drei Musikern unter dem alten Bandnamen. Wir sprachen mit dem 66-Jährigen, der nächste Woche Donnerstag im Live Club Barmen auftritt.
Herr Scott, Sie tragen eine beeindruckende Mähne. Sind lange Haare für Rockstars immer noch ein Muss?
Andy Scott: Wenn ich mir die jüngeren Bands angucke, dann ist heute ein Bart wohl wichtiger. Bei mir haben die langen Haare einen etwas anderen Grund. Als ich 2009 Prostatakrebs bekommen habe, dachte ich, die Haare würden durch die Behandlung ausfallen. Deshalb habe ich sie nicht mehr abgeschnitten. Aber ich habe meine Haare nicht verloren - nur die Farbe ist rausgegangen. Sie sind einfach immer länger geworden, und ich bin bei der Hippie-Optik geblieben.
Wie hat die Krankheit Ihr Leben verändert?
Scott: Das wirft natürlich alles um. Man bekommt ein anderes Bewusstsein, wenn man jeden Morgen denkt: Dieser Tag könnte dein letzter sein — vergeude ihn nicht. Wobei gelegentliches Nichtstun keine Vergeudung sein muss.
Schlägt sich das auch musikalisch nieder?
Scott: Just an diesem Samstag veranstalte ich wieder mein Festival „Rock against Cancer“ (Rock gegen Krebs), das mache ich jedes Jahr. In meinem Dorf in Wiltshire treten Suzi Quatro, 10cc, Fish und die SAS Band auf. Unsere Botschaft ist: Wir müssen gegen Krebs kämpfen. Auch wenn wohl nie genug Geld da sein wird für die Erforschung und Behandlung.
Werfen wir einen Blick zurück: Sweet war erst eine Popband mit ganz jungem Publikum. Wie sind Sie zum Glamrock und zu Ihren großen Erfolgen gekommen?
Scott: Die Band war nicht glücklich mit dem Songmaterial, das wir zuerst bekommen haben. Wir wollten in die rockigere Richtung und zugleich unser Image ändern. 1973 haben wir Marc Bolan und David Bowie getroffen — die waren wirklich ganz anders drauf. Marc hat uns den Laden auf der Kings Road gezeigt, wo man sich solche Klamotten machen lassen konnte. Die Second-Hand-Läden, die wir bis dahin kannten, hatten das ja überhaupt nicht.
Hat der Glamrock Ihren Lebensstil verändert?
Scott: Wir haben zwar schnell gelernt, uns zu schminken, aber für uns war das nur ein Bühnen-Image, ein Spiel. Wir waren froh, dabei zu sein, aber anders als David Bowie und Marc Bolan sind wir nicht komplett darauf abgefahren.
Damit haben sich auch die Songs geändert?
Scott: Die Produzenten und Songschreiber haben schnell begriffen, welche goldenen Eier Sweet legen. Man darf aber nicht vergessen, dass die Glamrockphase, die vielen so intensiv im Gedächtnis ist, eigentlich nur zwei Jahre gedauert hat. Als wir 1974/75 auf US-Tour gingen, sahen wir schon eher aus wie eine Bikerband.
Wie wild waren die 70er Jahre im Hinblick auf Sex and Drugs and Rock’n’Roll?
Scott: Oh, da möchte ich vom Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen. Es war eine gute Zeit, weil alles sehr frei war, weil auch viel mehr Dinge akzeptiert wurden als in den 60ern. Aber das ist wirklich lange her, mehr als 40 Jahre. Und das einzige, was in dieser Welt wirklich konstant ist, ist der Wandel.
40 Jahre Rock: Tragen Sie Ohrstöpsel auf der Bühne, um die Ohren zu schützen?
Scott: Ich stecke mir überhaupt nichts in die Ohren, das ist alles Teufelszeug! Die Lautstärke auf der Bühne wird heute eigentlich gut reguliert. Wobei — wenn man E-Gitarren zu weit runterregelt, hört man nur noch plopp, plopp. Kopfhörer gehen auch gar nicht. Auf der Bühne will ich mit meinen Kumpels reden. Wenn aber alle Kopfhörer aufhaben, gucken sie nur wie Idioten.
Sie sind offiziell auf Abschiedstour, für 2017 ist auf der Sweet-Homepage aber schon eine Last-Encore-Tour angekündigt. Wie ernst ist es Ihnen mit dem Aufhören?
Scott: So lange die Leute uns hören wollen, machen wir natürlich weiter. Kein Rockstar geht heute mehr in Rente. Wir wollen nur die Schlagzahl der Konzerte reduzieren. Bei der vorigen Tour hatten wir mal 27 Auftritte in 37 Tagen — das muss ich in meinem Alter echt nicht mehr haben. Deshalb werden wir künftig pro Jahr 20 statt 60 Konzerte geben, das ist ja kein Stigma.
Machen Sie Ferien, wenn eine Tour vorbei ist?
Scott: Ich bin nicht gut im Ferienmachen. Wir waren ein paar Tage in Cornwall, als das Wetter schön wurde. Eigentlich reicht es mir aber, wenn ich in meinem Dorf in Ruhe in den Pub gehen kann.