Wuppertaler Kultur Ein Buch über die am meisten vertonte deutsche Dichterin

»Karl Bellenberg: „Else Lasker-Schüler, ihre Lyrik und ihre Komponisten“. 2019, ca. 560 S., Wissenschaftlicher Verlag Berlin, 89 Euro · Doktorarbeit bringt Lasker-Schüler-Forschung voran.

Freude über das Buch: (v.l.) Hajo Jahn, Karl Bellenberg , Eberhard Robke.

Foto: Fischer, Andreas H503840

„Diese Gedichte. Ich möchte sie vertonen. Alle!“, bewunderte Friedrich Hollaender die Lyrik von Else Lasker-Schüler (ELS). Er wurde berühmt durch seine Schlager für Marlene Dietrich, schrieb aber auch die Bühnenmusik zur Uraufführung des Schauspiels „Die Wupper“ (1919). Nachzulesen in einem ungewöhnlichen Buch, das soeben in Berlin erschienen ist. Es dokumentiert, dass die Hollaender-Partitur „verschollen“ ist. Fakt ist, dass er mit „Versöhnung“ nur ein ELS-Lied schreiben konnte, während von Hindemith acht Vertonungen vorliegen. Nachzulesen ist ebenfalls, dass mehr als 400 Komponisten ihre Poeme vertonten. Das entspricht in etwa den Rilke-Gedichtvertonungen, reicht von A wie Adorno bis Z wie Zwicker. Else Lasker-Schüler dürfte die meist vertonte deutsche Lyrikerin sein.

Autor von „Else Lasker-Schüler, ihre Lyrik und ihre Komponisten“ ist Karl Bellenberg. Es ist seine Dissertation. Nach der Pensionierung hat sich der Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik 2006 an der Universität Köln eingeschrieben. 2011 wurde er vorzeitig zum Promotionsstudiengang zugelassen. Nach acht Jahren des Forschens konnte Bellenberg seine Doktorarbeit im Fach Musikwissenschaften verteidigen und mit der Note 1,0 beenden.

„Ich bin damit zu meiner alten Liebe zurückgekehrt“, schmunzelt der 74-Jährige, der Klavier und Orgel spielt, als Schüler die Dichterin für sich entdeckte. Geboren 1944 bei Olpe, hospitierte er 1967 beim WDR, wo er Mauricio Kagel und Karlheinz Stockhausen im Studio für elektronische Musik kennenlernte. Bellenberg lebt in Heiligenhaus und gehört dem Vorstand der ELS-Gesellschaft an.

Normalerweise werden von Dissertationen 50 Pflichtexemplare gedruckt. Der Wuppertaler Kunstmäzen Eberhard Robke war von Bellenbergs Arbeit so angetan, dass er spontan den Druck von 50 weiteren Exemplaren ermöglichte. Die Schuler-Stiftung finanziert den Versand u.a. an Archive, Musikhochschulen und Bibliotheken.

Joachim Dorfmüller hatte 1995 erstmals 50 ELS-Lyrikvertonungen aufgelistet. Allein mit Wuppertal verbunden sind inzwischen 15 Komponisten, darunter Konrad Hupfer, Ulrich Leyendecker, Thomas Beimel, Ulrich Klan, P.M. Braun, Wolfgang Schmidtke, Julian Hanebeck, Björn Krüger, die Rockgruppe Pilos Puntos, George Dreyfus und Sybil Westendorp – ihre 211 Kompositionen sind die größte Liedersammlung von ELS-Texten, archiviert in der Internationalen Komponistinnen-Bibliothek Unna. Wolfgang Schmidtke vertonte zwölf Gedichte für die WDR-Big Band, „weil diese Lyrik so unglaublich vielschichtig ist. Seelenwelt wird mit der Außenwelt konfrontiert“.

Vor allem deutsche Komponisten fühlten sich von ihrer subtil-expressiven Sprache, von den Metaphern und Bildern der Texte zu ausdrucksstarken Tönen angeregt. Damit schufen sie wirksame Präsentationsformen für die Lyrik.

Was Bellenberg präsentiert, ist die erste ausführliche Publikation über die Vertonungen von ELS-Gedichten: eine wissenschaftliche Arbeit als längst überfällige Ergänzung zur ELS-Gesamtausgabe und dem Werkverzeichnis ihrer Bilder.

Vor dem Zweiten Weltkrieg hatten erst 23 Komponisten Lasker-Schüler-Poeme vertont. Der Hype setzte deutlich nach 1945, ihrem Todesjahr, ein. Die meist vertonten Gedichte sind „Weltende“ (67), „Mein blaues Klavier“ (53) und „Gebet – Ich suche allerlanden eine Stadt“ (42).

Prof. Norbert Oellers, Mitherausgeber der Kritischen Ausgabe „Else Lasker-Schüler. Werke und Briefe“, schrieb im Geleitwort zur Bellenberg-Veröffentlichung: „Die vorliegende Arbeit wird sich in kurzer Zeit als Standardwerk der Forschung über Else Lasker-Schüler, der angesehensten deutschsprachigen Lyrikerin des 20. Jahrhunderts, erweisen. Die Arbeit ist ein dringend gewünschtes Supplement der elf-bändigen Kritischen Ausgabe der Werke der Dichterin. Sie wird vermutlich die wichtigste wissenschaftliche Arbeit über sie in diesem Jahr, 150 Jahre nach ihrer Geburt, sein; denn die beschriebenen Kompositionen (es sind über 1800 Werke von über 400 Komponisten) lassen sich in vielen Fällen als Interpretationen der lyrischen Texte betrachten, die den Horizont des Verstehens ‚bloßer’ Literaturforscher erweitern können.“

Etwa die Hälfte der Publikationen ist eine germanistische Arbeit über die Lyrik von Else Lasker-Schüler mit der ihr innewohnenden Musikalität, mit Sprachanalysen und Interpretationen. Der musikwissenschaftliche Teil enthält neben den Vertonungen 30 Komponistenportraits sowie Kompositionsanalysen. Dr. Bellenberg hat dazu ein einzigartiges Archiv mit 900 Partituren und 70 CDs /DVDs aufgebaut. Sein Wissen will er künftig nutzen, um mehr noch als bislang schon „Veranstalter von Konzerten und Sänger bei der Auswahl von Kompositionen zu beraten“.