Wuppertaler Kultur Sozialsatire in einer ungewöhnlichen WG

Das Schauspiel Wuppertal zeigt Roland Topors „Ein Winter unterm Tisch“.

 Carolin Mittler (l.) und Schirin Khodadadian.

Carolin Mittler (l.) und Schirin Khodadadian.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Wer „oben“ und wer „unten“ wohnt, lässt in einem durchschnittlichen Wohnhaus wenig Aufschluss über den sozialen Stand der Bewohner zu. Doch was, wenn „unten“ bedeutet: „unter dem Tisch“? Am 30. Juni feiert Roland Topors „Ein Winter unterm Tisch“ Premiere im Theater am Engelsgarten, ein Stück, das in 14 Bildern eine Problematik aufwirft, die auch heute, 25 Jahre nach der Uraufführung, aktuell ist. Regie führt Schirin Khodadadian, die im vergangenen Jahr bereits Neil LaButes „Zur Mittagsstunde“ für das Schauspielensemble inszenierte.

Wohnraum ist knapp – vor allem für Einwanderer. Das weiß auch die liebenswerte Übersetzerin Florence, die dem Schuster Dragomir kurzerhand Asyl unter ihrem Tisch gewährt. In dieser ungewöhnlichen Wohngemeinschaft entwickeln die beiden Protagonisten, verkörpert von Philippine Pachl und Stefan Walz, eine besondere Beziehung. Während Florence auf dem Tisch weiter ihrer Übersetzungstätigkeit nachgeht, schustert Dragomir unter dem Tisch, man gönnt einander Privatsphäre und besucht sich hin und wieder im jeweils anderen Lebensraum. „Die beiden finden das ganz normal“, so Khodadadian – ganz im Gegensatz zu den restlichen Figuren, dargestellt von Lena Vogt, Martin Petschan und Alexander Peiler, die mit verschiedenen Strategien versuchen, den beiden Bewohnern den Schleier der eigenen Realität ihrer Vereinbarung zu entreißen.

Roland Topor war von Haus aus Karikaturist und gestaltete neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit unter anderem Theaterplakate. „Das ist jemand, der sehr expressiv und wortwörtlich zeichnet“, so die Regisseurin. So sei auch das Stück konstruiert, das im Kontext der Proteste der „Sans-Papiers“, der illegalen Einwanderer in Frankreich, entstand und 1994 in Mannheim uraufgeführt wurde. Papier, genauer gesagt bedrucktes Papier, wird – der Wortwörtlichkeit Topors folgend – auch in der Gestaltung des Bühnenbilds eine entscheidende Rolle spielen, wie Dramaturg Peter Wallgram verrät, ebenso wie eine schwarzweiße Färbung, die gleichermaßen auf das Papier wie auf die soziale Dichotomisierung hindeuten kann. Denn das „oben“ und „unten“ der Tisch-WG werde innerhalb dieser Ästhetik zu einer poetologischen Unterscheidung, erklärt Khodadadian. Wenn die illegalen Einwanderer wie Untermenschen behandelt würden, sei es doch normal, wenn sie unter den Tischen lebten, habe Topor einmal auf die Frage geantwortet, ob sein Entwurf nicht allzu surreal sei.

Ungenierte Herangehensweise an Themen wie Einwanderung

„Dieser absurde Kontext gibt der ganzen Thematik mehr Raum, als wenn das so ein intellektueller Diskurs würde“, erklärt die Regisseurin Topors ungenierte Herangehensweise an die Themen Einwanderung und Raumnot. Gerade die vordergründige Absurdität der Wohnsituation biete eine „Folie für etwas Märchenhaftes“: Unter die grotesken Motive mischt sich das Spiel mit naiven Klischees, unterschiedlichen Vorstellungen von Happy Ends und Eifersucht. Die Übersetzungstätigkeit der Protagonistin wiederum wird zum Motiv für Fragen über zwischenmenschliche Kommunikation, wie Schirin Khodadadian erklärt. „Wie verstehen wir uns?“, frage Topor. „Was behauptet die Sprache und was tun die Körper?“ In diesem Zusammenhang wird es musikalisch: Neben Gesangseinlagen der Hauptdarsteller, die auf und abseits der Theaterbühne als Musiker tätig sind, greift Martin Petschan zur Geige, „und das sehr virtuos“, wie das Regieteam verspricht.