Interview „Pina wollte mit ‚Wiesenland‘ etwas schenken, ein Gefühl weitergeben“

Interview Ruth Amarante stand schon bei der Uraufführung im Jahr 2000 auf der Bühne und wirkt auch 2019 an der Tanztheaterproduktion des Bausch-Stücks mit. Am Samstag ist Premiere in der Oper.

Ruth Amarante in einer Szene des Pina Bausch-Stücks „Wiesenland“, die 2007 fotografiert wurde.

Foto: Robert Stefanski/Tanzttheater/Robert Stefanski

Der Titel ist wörtlich zu nehmen, findet sich im wiesenbegrünten Bühnenbild wieder, das Peter Pabst geschaffen hat. Und er erinnert an das Land, in dem das Stück entstand. „Wiesenland“ ist eine der Choreographien, die nach einem Auslandsaufenthalt des Tanztheaters Pina Bausch entstand. 2000 waren die Tänzer einige Wochen in Ungarn. Mit dabei war Ruth Amarante, die der Compagnie seit 1991 angehört. Die Brasilianerin steht auch bei der Wiederaufführung in diesem November in der Wuppertaler Oper auf der Bühne. Die Proben laufen auf Hochtouren.

Sie waren damals bei der Entstehung von „Wiesenland“ in Ungarn dabei. Wie war das?

Ruth Amarante: Es war großartig. Sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Wir haben eine sehr schöne Zeit mit den Roma-Familien verbracht. Es war Pflaumenerntezeit, und sie hatten diese riesigen Töpfe draußen, in denen sie die Pflaumen verarbeiteten. Wir haben mit ihnen gegessen und getanzt, es war sehr schön.

Wie viel Ungarn steckt in dem Stück?

Amarante: Ich glaube, da ist viel. Vom Flair her. Es ist keine folkloristische oder regionale Beschreibung. Aber Ungarn findet sich in der Musik und in der Lebenslust wieder, die „Wiesenland“ ausdrückt. Trotz der Schwierigkeiten im Leben der Menschen.

Hat Wiesenland mehr Tanz- oder mehr Sprechanteile?

Amarante: Es hat viel Tanz wie alle Stücke, die nach 1990, ab „Palermo, Palermo“ (1989, Red.) entstanden sind. Vor allem gibt es einzelne Tänze, aber auch einige sehr schöne in der Gruppe.

Sie waren 2000 dabei und jetzt auch wieder. Gibt es Unterschiede, Gemeinsamkeiten?

Amarante: Es ist ein Gemisch, weil es lange her ist, wir heute anders herangehen. Wir nähern uns dem Stück an, das wir kennen, das so bleiben muss. Es gibt ein paar neue Tänzer und Tänzerinnen. Im Moment ist es auch ein wenig schwierig, in der Probe die Frische wieder zu finden. Wir haben uns verändert, es gibt andere Tänzer und vor allem ist Pina Bausch nicht mehr da. Es geht immer weiter, alles ist im Fluss. Es ist ein permanentes Suchen. Das war es auch schon mit Pina. Man ändert sich, aber die Choreographie ist fest. Das Stück gewinnt an Reife, wir kennen es besser, einige Details gehen auch verloren. Wir müssen es neu entdecken und die Essenz erhalten. Mit Essenz meine ich den Kern, das Gewicht und die Qualität finden und herausarbeiten.

Was liegt Ihnen bei den Stücken mehr - Tanzen oder Sprechen?

Amarante: Ich mag alles, aber ich bin Tänzerin und nicht Schauspielerin. Ich liebe das Tanzen.

In Pina Bauschs Stücken ist die Auseinandersetzung von Mann und Frau zentrales Thema. Wie geschieht dies in „Wiesenland“?

Amarante: Es wird weicher und zärtlicher erzählt als in den frühen Stücken. Die generelle Stimmung ist fröhlich, der Schwerpunkt liegt auf der Lebensfreude. Das gefällt mir sehr.

Es wurde vermutet, Pina Bausch habe in „Wiesenland“ die Spaßgesellschaft kritisieren wollen.

Amarante: Pina wollte mit dem Stück nicht kritisieren, sie wollte etwas schenken, ein Gefühl weitergeben.

Wie kommt man eigentlich beim Tanzen mit High Heels klar?

Amarante: Ich kann mich nicht erinnern, dass das jemals ein Problem war. Schwierig kann es nur werden, wenn man zu lange auf einer Wiese oder im Wasser tanzen muss. Aber Fußprobleme kennen alle Tänzer, ganz egal, in welchen Schuhen sie tanzen, bequem ist es nie.“

Was macht Ihnen mehr Spaß – Ihr Wissen und Können weiter zu geben oder selber auf der Bühne zu stehen?

Amarante: Beides! Die Aufgabe des Weitergebens ist eine schöne Herausforderung und gestaltet sich immer neu. Es ist etwas Notwendiges und soll qualitativ auf hohem Niveau stattfinden. Aber auf der Bühne zu stehen und durch Tanz zu kommunizieren ist mein Leben. Manchmal kämpfe ich dagegen, aber ich bin erstaunt, dass ich das Tanzen immer wieder und neu entdecken kann. In diesen Momenten werde ich dann extrem neugierig und experimentierfreudig und möchte dieses neue Gefühl von „Tanzen“ in meinem fortwährend sich verändernden Körper ein Haus geben. Dieses Suchen ist im Moment das, was mich am meisten interessiert.