Premiere: Mutter Courage singt im Nachtclub
Theater: Ingeborg Wolff verabschiedet sich aus dem Ensemble. „Mutter Courage und ihre Kinder“ ziehen am Donnerstag ins Schauspielhaus.
Wuppertal. Für Robin Telfer ist es eine ganz besondere Premiere: Der gebürtige Brite bekommt es mit starken Charakteren zu tun - erstmals nicht nur mit Bertolt Brecht, sondern auch mit Mutter Courage und ihren Kindern. Die Tatsache, dass der Regisseur erst jetzt - obwohl er seit 1981 in Heidelberg lebt - ein Brecht-Stück inszeniert, ist natürlich kein Drama, aber doch eine Überraschung.
Auf gut Deutsch gesagt: "Brecht ist nichts, das man in England mit der Muttermilch aufsaugt." Und so macht Telfer auch keinen Hehl daraus, dass ihm "die belehrende, besserwisserische, politische Art von Brecht erstmal fremd war".
Kein Fremder ist hingegen Robin Telfer, der heute im Schauspielhaus Premiere feiert. Der Regisseur, der 1959 in Yorkshire geboren wurde und in Cambridge Anglistik studierte, hat in Wuppertal schon reichlich Theater gemacht. Zuletzt zeigte er, was es bedeutet, wenn "Der nackte Wahnsinn" ausbricht.
Obwohl er sich die Begeisterung für Brecht erst erarbeiten musste, ist er dankbar für den neuen Auftrag. "Denn wenn man mit dem Stoff ringen muss, ist das sehr spannend." Nach wochenlangen Proben schwärmt er deshalb vom Kern des Stücks: "Der Inhalt ist so grandios wie aktuell." Und trotzdem: "Die Welt ist anders als vor 60 Jahren", betont Telfer.
Das Publikum dürfte sich daher gehörig wundern: Mutter Courage (Ingeborg Wolff), die Opfer und Täterin zugleich ist, weil sie im Dreißigjährigen Krieg nicht auf der Verliererseite enden möchte, muss in Wuppertal ohne den obligatorischen Planwagen auskommen. Vom Kriegsleid kann sie trotzdem ein Lied singen - als Nachtclub-Musikerin. "Das ist die Rahmenhandlung", erklärt Telfer. "Als Sängerin will sie ihre Geschichte verkaufen."
Das passt zum Stoff und zum Stück, das 1941 erstmals in Zürich über die Bühne ging. Globalisierung, Kapitalismus und die Frage der Käuflichkeit: Telfer will die Zuschauer überraschen und das brisante Thema aus heutiger Sicht diskutieren. "Wir stellen verschärft Fragen und liefern keine Antworten. Die gibt das Stück auch gar nicht her."
Und weil "die Welt nicht so klar ist, wie man die Parabel erzählen könnte, versuchen wir, Brechts Klarheit etwas unklarer zu machen". Wem jetzt nicht klar sein sollte, was das heißt, dem sei verraten, dass die Inszenierung eine Mischung aus Erzähltem und Erinnertem wird: "Wir präsentieren die Geschichte mit dem Brecht-Geist, aber ohne den erhobenen Zeigefinger."
Die Musik von Paul Dessau setzt Günter Lehr um: Auf der Bühne steht ein Klavier - zwischen Dorf-Ruinen, Club-Stühlen und TV-Bildschirmen, über die Kriegs- und Börsenberichte flimmern. Während die Bühne vor allem Ingeborg Wolff und ihrer Abschiedsrolle gehört, gibt es ein Wiedersehen mit Hans Richter. Dem langjährigen Ensemble-Schauspieler wurde sein Einsatz quasi auf den Leib geschrieben: Als Spielmacher sieht er zu, wie zu Kriegszeiten selbst kleine Leute große Geschäfte wittern.