Sinfonieorchester Wuppertal Reissenberger: Neustart ist auch mit Sinfonien möglich
Ein wenig ist es wie beim Tiger im Käfig. Das Sinfonieorchester will spielen, darf aber nicht. Jedenfalls nicht wie früher. Generalmusikdirektorin Julia Jones und Orchestermanager Benjamin Reissenberger haben immer wieder hin und her überlegt, Konzepte ent- und verworfen, die Situation aber bleibt „volatil“.
Auch wenn der Spielplan online veröffentlicht ist und am 13. auch in gedruckter Form erscheint. „Weitere Anpassungen werden folgen müssen“, sagt Reissenberger und legt sich dann fest: Am 29. August findet die Saisoneröffnung im Großen Saal der Historischen Stadthalle statt. Am 21. August sollen bei einer Bühnenbegehung alle Unwägbarkeiten ausgeräumt, alle Fragen beantwortet werden.
Sieben Quadratmeter stehen jedem Musiker laut Coronaschutzverordnung zu. Wer ein Blasinstrument in Händen hält, braucht zwei Meter Ausstoß-Abstand nach vorne, zur Seite reichen die allgemein üblichen 1,5 Meter. Weil die Querflötenspieler die einzigen sind, die die Luft direkt nach vorne rauslassen, empfiehlt eine wissenschaftliche Untersuchung, diese in die erste Reihe zu setzen. Was die aber vehement ablehnen, sagt Reissenberger.
Und rechnet durch: Mit zwölf Bläsern, einer Pauke, sechs ersten, fünf zweiten Geigen, vier Celli und zwei Kontrabässen - also mit deutlich abgespeckter Mannstärke bei den Streichern - könne man eine Beethoven-Sinfonie spielen. Und so steht am 29. August das Triplekonzert und die 7. Sinfonie des berühmten Komponisten auf dem Programm. Die Fidelio-Ouvertüre aber muss wegfallen. Denn: Das Konzert wird keine Pause haben dürfen, ist entsprechend in der Länge beschränkt auf etwa 75 Minuten. Dafür kann Julia Jones die Saisoneröffnung dirigieren - ein Engagement im Covent Garden fällt coronabedingt aus.
Konzerte mit maximaler
Länge und ohne Pause
Fest steht auch das erste Sinfoniekonzert am 20. und 21. September. Freilich nicht mit dem ehedem geplanten Programm – Strauss’ Don Quichotte und Beethovens Eroica sind nicht möglich, weil sie einen zu großen Klangkörper benötigen. Stattdessen wird das im März angesetzte Beethoven-Violinkonzert mit dem Konzertmeister Yusuke Hayashi (Violine) nachgeholt. Vielleicht doch die Eroica drangehängt, „dann wären wir schon bei 90 Minuten. Aber die beiden Highlights in einem Konzert - das wäre schon super“, meint Reissenberger.
Der Orchestermanager plant auch ein Konzert mit dem designierten Generalmusikdirektor Patrick Hahn in der nächsten Saison und modifiziert Konzerte, die Johannes Pell, der als Chefdirigent zur Staatsoperette Dresden gewechselt ist, geleitet hätte. Einen Nachfolger für den ersten Kapellmeister soll es erst in der Spielzeit 21/22 geben, also wird von Konzert zu Konzert entschieden. Bleiben noch die weiteren Sinfoniekonzerte, die an Corona angepasst werden müssen.
Was nicht notwendig wäre, so Reissenberger, wenn man in Wuppertal dem Beispiel der Salzburger Festspiele folgen würde, die die Wiener Philharmoniker durchtesten lassen, so dass diese keinen Abstand auf der Bühne mehr halten müssen.
Gedankenspiele. Realität sind eine 274 Quadratmeter große und hohe Halle an der Burgunder Straße, wo bereits vor der Sommerpause geprobt wurde. Streng gemäß Hygieneschutzvorgaben – mit gedrittelten Zeitfenstern, Pausen zum Querlüften, Ploppschutz für die Bläser. Realität ist auch der Schutzplan der Stadthalle, der 564 Gäste für den Großen Saal erlaubt, was bei 550 Abonnenten des Montagssinfoniekonzerts kein Problem darstellt.
Aber nichts über den Bedarf im Abonnement aussagt, das sich über diverse Angebote erstreckt. „Wir warten da noch auf Rückmeldung durch die Kulturkarte“, schränkt Reissenberger ein. Unberücksichtigt ist dabei auch nicht der wichtige feste Sitzplatz der Abonnenten, die bis zur Sommerpause kaum Rückzieher gemacht haben. Wohl noch abwarten, ob sie dem Orchester treu bleiben oder kündigen. Hinzu kommt der nicht unwichtige Einzelkartenverkauf, der schon im Normalfall für Spannung sorge, da er stets erst wenige Tage vor dem Konzert einsetze, erzählt Reissenberger. Der nun echte Sorge hat, sich nicht sicher ist, ob beim Publikum das Vermissen der Livekonzerte stärker ist als die Angst vor einem gesundheitlichen Risiko. Die vor der Sommerpause als Probeläufe gedachten Kammerkonzerte im Mendelssohnsaal und das Uptown Classics-Konzert im Kulturzentrum Immanuel waren trotz verminderten Platzkontingents nicht ausgebucht. „Wir haben einfach noch kein Gefühl dafür, wie das Publikum reagiert.“