WZ TV: „Die Lotterie in Babylon“ – Finanznöte auf der Bühne
Martin Kloepfers Inszenierung enthält jede Menge Anspielungen auf die Finanzmisere in Wuppertal.
Wuppertal. Nein, das große Los hat Hermann Soergel nicht gezogen: Die Raten für den Haus-Kredit hat er nicht bezahlt, die Mahnungen ignoriert, die Ehefrau belogen. Da kommt ihm die Parabel von der Lotterie in Babylon gerade recht.
Martin Kloepfer hat die letzte Uraufführung der Saison im Kleinen Schauspielhaus inszeniert. Er stellt dem Alltag der Familie Soergel die Schilderung einer fantastischen Gesellschaftsordnung des Jorge Luis Borges von 1941 gegenüber, die Möchtegern-Philosoph Soergel (herrlich abgehoben: Lutz Wessel) dazu nutzt, die eigenen Fehler wortreich zu kaschieren und auf andere zu schieben. Selbst Schuldenberater Müller (mit energischem Auftreten die eigene Unsicherheit überdeckend: Andreas Möckel) ist gegen so viel Ignoranz machtlos. Er, Soergel, habe eben zufällig das Unglückslos zwischen all den Glücklosen erwischt. Ungerecht, aber nützlich findet er die Verteilung der Schicksalslose, denn die Gesellschaft begeistere sich am Unglück anderer.
Damit will sich Gattin Ulrika (naiv und dennoch trickreich: Sophie Basse) nicht abfinden: Sie flüchtet ins Abenteuer und ins Reich der Fantasie, spricht im Rollenspiel Herr-der-Ringe-Elbisch und assistiert als zersägte Jungfrau dem Zauberer (smart und hinterhältig: Daniel Breitfelder). Der allerdings lauert wieder nur auf ihr Geld.
Regie und Bühne (Oliver Kostecka) arbeiten assoziativ, fragmentarisch, mit Collagen, Projektionen, Musik und witzigen Slapsticks - gratwandernd zwischen Illustration und Beliebigkeit: Kaffeetrinken zu zweit im engen Lehmkübel ist ein Gag, bringt aber die Handlung nicht wirklich weiter. Und was etwa macht das gesungene "Miserere" von Gregorio Allegri von 1638 in diesem Zusammenhang? Erbarmen vom Allerhöchsten? Die Lotteriegesellschaft schlug die Proteste gegen die ungerechte Verteilung der Lose nieder, indem sie "in den Abfall einer Maskenfabrik ein knappes Argument hinschmieren ließ, das heute zu den heiligen Schriften zählt." Borges fragt, nach wessen Regeln das Lotteriespiel des Lebens verläuft. Und der als weiser Guru in langer Unterhose auf der Leiter thronende Soergel muss gestehen, dass er keine Wunder tun kann: Die im Mixer zu Brei verquirlte Rose kann er nicht erneuern: "Mir fehlte der Glaube." Die Rose zaubert der Insolvenzverwalter aus dem Kasten.
Sind also die Finanziers dieser Welt doch die lebenstüchtigeren Menschen? Die "Maskenfabrik" geistert auch durch die Afrika-Legende von der besiegten siebenköpfigen Schlange (eindrucksvoll geschildert von Tochter Marie: Juliane Pempelfort), die lehrt: Wenn man den Mythos tötet, verdorrt die Seele, wenn Fantasie stirbt, verödet die Gesellschaft, wenn man Kultur kappt, verkümmert der Geist. So schafft die Regie mit einem Schlenker auch noch den Bezug zur aktuellen Wuppertaler Situation.
Das Publikum zeigte sich vom bisweilen erfrischend heiteren Spiel begeistert. Erfreulich auch, dass im ausverkauften kleinen Saal diesmal viele jüngere Zuschauer saßen.
Regie: 3 von 5 Punkten
Bühne: 2 von 5 Punkten
Ensemble: 4 von 5 Punkten