„Lulu ist eine freie Radikale“
Regisseurin Beate Baron studiert derzeit das Werk von Alban Berg im Wuppertaler Opernhaus ein: „In der Musik steckt eine enorme sexuelle Spannung.“
Wuppertal. Beate Baron bewegt sich 14 Tage vor der „Lulu“-Premiere meist im Laufschritt. Bei der Probe steht die Opernregisseurin mal still konzentriert, mal gestenreich erklärend direkt am Bühnenrand. Kurz ist sie draußen und schon wieder zurück, weil die Beleuchtungsprobe ansteht.
Frau Baron, Sie haben 2010 schon mal hier gearbeitet, als Sie Hans Neuenfels’ Inszenierung von „Proserpina“ einstudiert haben. Wie erleben Sie das Haus heute?
Beate Baron: Ich möchte gar nichts bewerten, aber es hat sich schon eklatant verändert — allein, weil es kein Ensemble mehr gibt. Es sind auch insgesamt viel weniger Menschen da. Aber ich habe auch jetzt das Glück, mit zum Teil sehr erfahrenen Sängerkollegen zusammenzuarbeiten.
Wie sind Sie an die Lulu herangegangen?
Baron: Ausgangspunkt ist der: Da haben zwei Männer — Frank Wedekind als Autor der Stücke und Alban Berg als Komponist — über eine Frau geschrieben. Das meine ich nicht wertend, denn die beiden haben schon genau hingeguckt. Sie haben auch keine Klischees produziert, sondern eine zeitlose Frauenfigur entworfen.
Aber Lulu gilt doch als Inbegriff der männermordenden Kindfrau.
Baron: Ich sehe ihre Kindlichkeit nicht naiv, sondern als bewundernswerte und wünschenwerte Freiheit, sich ausschließlich im Moment zu fühlen. Sie lebt aus, wozu sie Lust hat. Das macht auch ihren Reiz für die Männer aus: Sie ist jemand, der sich nicht verstellt. Sie ist auch alles andere als kokett.
Sie zeigen Lulu als selbstbewusste Kämpferin?
Baron: Ja. Ich will von einer Frau erzählen, die um alles in der Welt ihre Autonomie bewahren will. Ich nenne sie immer eine freie Radikale. Sie gibt nie auf, sie zerbricht auch nicht an widrigen Lebensumständen, etwa als sie sich schließlich prostituieren muss. Dass dieser freiheitliche Lebensentwurf nicht klappt, ist ja eine ganz andere Ebene. Das muss schiefgehen, weil die Gesellschaft eben so ist, wie sie ist.
Wie bekommen Sie diese kämpferische Haltung auf die Bühne?
Baron: Das ist ein intensiver Teil der Probenarbeit. Man muss immer wieder danach graben, auf jede Geste, jede Bewegung der Sänger achten, damit nicht doch Klischees hineinrutschen. Die Menschen sind heute gewöhnt, schneller zu gucken und nicht mehr so in die Tiefe zu gehen.
In welcher Zeit verorten Sie die Oper?
Baron: Das kann man bei meinen Arbeiten nie sagen. Für diese Geschichte muss ich eine bürgerliche Gesellschaft mit ihren Zwängen und Kämpfen zeigen, sie braucht aber keine bestimmte Epoche.
Für Sie ist diese Lulu-Figur, die Frank Wedekind vor mehr als 100 Jahre erdacht hat, heute noch aktuell?
Baron: Fragen Sie mich das im Ernst? Ich wüsste nicht, warum ich das Stück sonst machen sollte.
Was ist denn das Aktuelle an der Figur und ihrem Scheitern?
Baron: Die gesellschaftlichen Strukturen müssen sich immer noch verändern, auch am Theater — wobei ich die Männer in keiner Weise persönlich diffamieren möchte. Andererseits bin ich nicht mehr 15 und auch kein Amateur. Aber das Frausein wird in meiner Arbeit immer noch häufig thematisiert, da kommen gelegentlich seltsame Reaktionen.
Können Sie Ihre Ideen von Ausstattung umsetzen?
Baron: Na ja. Man hat uns den Bühnenetat um ein Viertel gekürzt, und das nach der Bau-Probe. Das Team hat sich danach länger beraten und letztlich beschlossen, doch weiterzumachen.
Wie wirkt sich das praktisch aus?
Baron: In einer pragmatischen Reduktion. Ich hatte die Vorstellung von einem Dschungelbild mit Großwildjägern. Lulu wird ja am Anfang als Tier vorgestellt, das zivilisiert werden soll. Tatsächlich findet sie sich in einem gesellschaftlichen Dschungel wieder. Da kommt Dr. Schön nach Hause und findet Lulu im Kreis ihrer Bewunderer. Er rast dann so im Fieberwahn der Eifersucht, dass er am Ende erschossen daliegt.
Wie unterstützt die Musik das Lulu-Thema?
Baron: In der Musik steckt eine enorme sexuelle Spannung. Da ist eine Erotik bis zum Wahnsinn, besonders wenn es um die Beziehung zwischen Lulu und Dr. Schön geht. Das können und wollen wir nicht durch Nackt- oder Sexszenen transportieren, das muss man in andere Bilder übersetzen. Sie werden deshalb Menschen sehen, die sich durch diese Gefühle durchkämpfen.