Marxismus bei Unital: Eine Utopie auf dem Prüfstand
Smail Rapic spannt den Bogen von der Oktoberrevolution bis zum heutigen China.
Wuppertal. Die Bürger seien gefordert, auf dass die Politik nicht Spielball der Großkonzerne und Finanzmärkte werde. Was Professor Smail Rapic am Donnerstag im Rahmen der Reihe UniTal in der Citykirche Elberfeld anmahnte, erinnerte mitunter an den Zungenschlag der 60er Jahre. Das sollte nicht verwundern, denn sein Thema, der Marxismus, hat seit damals keinen Funken an Brisanz verloren — auch wenn der Kapitalismus seinen großen Kontrahenten für tot erklärt hat.
Rapic lieferte schwere Kost rund um die Frage: „Höllenfahrt einer politischen Utopie?“ Gegen die These von Karl Popper, der die unvermeidliche Höllenfahrt sah, setzte Rapic die Analysen von Orlando Figes, der in seinem Buch „Die Tragödie eines Volkes“ minuziös die Entwicklung der russischen Revolution nachzeichnete.
Als Kernerkenntnis zog Rapic daraus die Einsicht, dass der Terror jener Zeit kein marxistisches, sondern ein allgemeines Phänomen war, hervorgegangen aus dem Wüten von Kolonialismus und Imperialismus. Lenin habe auf die Signalwirkung seiner Revolution gesetzt und auf die Ausdehnung über den Erdball gehofft. Als die Weltrevolution nicht eintrat, sei Russland isoliert gewesen und entsprechend verunsichert. Das habe sich später mit der Machtergreifung Hitlers weiter verstärkt.
Den Bolschewiken habe es zudem an klar umrissenen Zielen gefehlt. Denn Marx und Engels seien hervorragende Kritiker gewesen, hätten sich aber zu den Alternativen des Kapitalismus nur selten klar geäußert. Man müsse die Umstände sehen, unter denen die Rote Armee gekämpft habe — ohne brutaler gewesen zu sein als die gegnerischen Weißen. Zu den Umständen habe es in Russland wie später in China gehört, dass es sich um Agrarstaaten handelte, während der Marxismus seine Theorien für die Zeit nach der industriellen Revolution entworfen habe. Wo diese Grundsituation nicht existierte, konnte ihre Überwindung nicht eintreten.
Rapic erinnerte auch an eine Notiz von Johannes Rau: „Die wahre Macht liegt bei den Banken.“ Wie bitter diese Erkenntnis ist, offenbart sich aktuell im Agieren der Investmentbanken. Wenn Nahrungsmittel zum Spekulationsobjekt würden, sei der Verrat an der Menschlichkeit perfekt.
In der Diskussionsrunde öffnete Rapic den Blick nach China. Dort seien innerhalb eines marxistischen Systems kleine Schritte zur Demokratieentwicklung zu beobachten. Im Zeitalter des Internets sei es nicht mehr möglich, Terror unter den Teppich zu kehren. Darin könne man eine große Chance dafür entdecken, dass der Marxismus sich doch noch seinen Utopien nähere.