Als Kind wollten Sie Nonne werden?
Tatort-Staatsanwältin wird 70 Mechthild Großmann wird 70 Jahre - Ihre künstlerische Heimat ist Pina Bausch
Mechthild Großmann und das Tanztheater Wuppertal gehörten eine lange Zeit zusammen. Nun wird sie 70 Jahre alt.
Die Wuppertaler kennen sie vor allem durch Pina Bausch, bei der sie unvergessliche Auftritte mit noch unvergesslicheren Zitaten - „Noch ein Weinchen und noch ein Zigarettchen, aber nicht nach Hause“ - hatte. Für die deutsche Fernsehnation ist sie die „Tatort“-Staatsanwältin Wilhelmine Klemm, die mit dunkler Lockenpracht, Zigarette und unverwechselbarer Stimme Kommissar Thiel auf Trab hält. Am 23. Dezember wird die Schauspielerin Mechthild Großmann 70 Jahre alt. Im Gespräch mit der WZ erinnert sie sich an ihre Wuppertaler Zeit, erzählt, was sie heute macht, wie sie die Streitigkeiten am Tanztheater empfindet und wie es ist, am Tag vor Heiligabend Geburtstag zu haben.
Mechthild Großmann: Da ich bei Nonnen zur Schule ging, habe ich das gesagt. Aber der Wunsch war mit acht Jahren schon vorbei.
Sie hatten Ballettunterricht?
Großmann: Meine Mutter wollte, dass ich ins Kinderballett gehe, da war ich vier. Ich bin da auch gerne hingegangen. Aber das war nicht berufsmäßig gemeint. Ich habe keine tänzerische Ausbildung.
Sie haben eine Schauspielausbildung.
Großmann: Ich wollte Schauspielerin werden. Schon als Kind, da war ich acht oder neun. Nach der Schule ging ich auf die Schauspielschule in Hamburg. Als Studentin spielte ich mein erstes Stück, es hieß „Kleopatra II.“, ein Boulevardstück mit Heinz Erhard. Meine Eltern hätten es lieber gehabt, wenn ich Ärztin oder Rechtsanwältin geworden wäre. Aber ich wollte das nicht, habe mich durchgesetzt. Mittlerweile stehe ich 50 Jahre auf der Bühne.
Vielen sind Sie als rauchende Staatsanwältin im „Tatort“ bekannt:
Großmann: Ja, weil das zwölf Millionen Zuschauer sehen. Aber ich habe auch viele große Rollen, etwa bei Pina Bausch und mit ihr in der ganzen Welt, gespielt.
Im „Tatort“ haben Sie eine Zubringerrolle.
Großmann: Ist es auch. Den Namen Nebenrolle finde ich doof. Es ist eine kleine Rolle, ich spiele sie gerne, sonst würde ich es nicht tun. Es kommt bei Rollen übrigens nicht auf die Größe an, wie bei so vielen Dingen im Leben.
Sie haben auch mit Rainer Werner Fassbinder gearbeitet.
Großmann: Ich habe im Film „Berlin Alexanderplatz“ mitgespielt. Ich kannte ihn aus meiner Bremer Zeit, wo er damals viele seiner Stücke uraufgeführt hat und den bösen Buben gab. Das war nicht so meine Welt. Jahre später rief er mich an und fragte, ob ich was bei ihm spielen will. Das war nur eine Drei- oder Vier-Tage-Rolle. Da war er sehr angenehm, ganz reizend. Nach dem Dreh rief er mich an und sagte: „Das ist eine schöne Szene geworden - Dankeschön.“
Ihre tiefe Stimme ist Ihr Markenzeichen.
Großmann: Die ist von der Natur so gegeben. Als kleines Mädchen oder Teenager ist das überhaupt nicht witzig. Da wird man gemobbt. Ich werde seit über 60 Jahren danach gefragt, und antworte immer höflich, spreche aber wahnsinnig ungern darüber. Aber neulich hat zum ersten Mal jemand etwas zu meiner Stimme gesagt, worüber ich mich sehr gefreut habe. Das war David Bennent. Er sagte: „In dieser Stimme liegt ein Universum.“
Wie haben Sie Pina Bausch kennengelernt?
Großmann: Da war ich schon acht Jahre am Theater, spielte viele große Klassiker. 1975 gastierte ich am Wuppertaler Schauspielhaus. Pina Bausch suchte damals Sänger für den Brecht-Weil-Abend. Ich hatte noch nie was von ihr gehört, wusste gar nicht, was sie machte. Und ich singe nicht gern. Sie sprach mich an, fragte, ob ich mal kommen würde. Und ich empfand diese Pina als sehr besondere Person. Sie hat mich überredet zu kommen. Ich wusste nicht, dass ich, bis zu ihrem Tod, 34 Jahre bei ihr bleiben würde.
Wie würden Sie ihr Verhältnis beschreiben?
Großmann: 34 Jahre sind eine lange Zeit. Und danach habe ich auch noch für ihre Compagnie gespielt. Sie hat mal gesagt, dass die Entwicklung des Tanztheaters viel mit mir zu tun gehabt hätte.
War Sie Ihre Freundin?
Großmann: Ich war sicher in den ersten 20 Jahren, man sagt ja, „immer, einen halben Meter hinter Pina“. Ich war bei den Proben dabei und auch abends, wenn wir essen gingen, habe teilweise bei ihr gewohnt. Zumindest war sie mir eine sehr nahe Person. Ich habe mich geliebt gefühlt. Und das braucht man.
Haben Sie eine Lieblingsrolle in einem Bausch-Stück?
Großmann: Als Pina starb, war ich 60, und hab andere Rollen gespielt, als damals, als ich zu ihr kam und noch keine 30 war. Jede Rolle, die ganze Arbeit mit ihr, war ein Erlebnis.
Wie haben Sie ihren plötzlichen Tod erlebt?
Großmann: Erstmal war es extrem überraschend. Das war sehr schrecklich. Man wusste vielleicht, dass sie krank ist.
Wie war Ihr Abschied vom Tanztheater 2017?
Großmann: Mein Entschluss fiel, nachdem ich bestimmte Stücke einfach nicht mehr spielen konnte. Es gab einige spätere, die nicht ganz so anstrengend waren, aber die waren für die nächsten Jahre nicht geplant. Dann hab ich gesagt, lasst es uns mit einem Stück beenden, das ich noch spielen kann. Mit 69 darf man ja aus dem Ballett gehen. Ich habe sehr lange und gerne in Wuppertal gelebt. In einer schönen Wohnung. Die ganzen Jahre mit Pina, meine Tochter ist dort geboren. Ja, ich denke gerne an die Jahre in Wuppertal zurück.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Tanztheaters?
Großmann: Das Beste. Dass die Kunst von Pina, dass ihre Stücke auf eine gute und richtige Art bewahrt werden. Es wäre schön, wenn alle Verantwortlichen, besonders die von der Stadt, mit mehr Sachverstand und Respekt vor Pina ihre Entscheidungen treffen würden.Und zwar mit den Tänzern, den Künstlern, und nicht über sie hinweg. Dieses unwürdige Spektakel im Sommer habe ich nur in der Presse verfolgen können. Einfach unappetitlich.
Wo liegt Ihre künstlerische Heimat?
Großmann: Das war natürlich Pina, selbst als ich nicht mehr fest engagiert war.
Und heute?
Großmann: Ich spiele viel in meinem „alten“ Beruf. Letztes Jahr habe ich in einem Stück gespielt, das fühlte sich richtig an - auch ein Satz von Pina. Das war mit Jan Bosse in „Richard III.“ in Frankfurt. Das war sehr schön.
Wollen Sie in Zukunft weniger arbeiten?
Großmann: Nee.
Als Mutter mussten Sie zeitweise kürzer treten.
Großmann: Das muss man fast in jedem Beruf. Für Leute am Theater ist das natürlich schwierig, nachts haben Kitas nicht auf. Und Sie haben Angebote in einer anderen Stadt. Das ist dann nicht so einfach. Seit meine Tochter erwachsen ist, kann ich wieder machen, was ich will.
Sie stehen auf der Bühne, machen Hörbücher und Lesungen. Welche Arbeit macht ihnen am meisten Spaß?
Großmann: Ich verbinde das nicht mit dem Wort Spaß. Ich habe gelernt, dass man nichts umsonst bekommt, sondern dass es viel mit Arbeit zu tun hat. Die kann aber natürlich sehr sehr schön sein. Vor allem, wenn etwas Gutes, etwas Richtiges dabei herauskommt. Und das befriedigt auch. Da ich meistens vor lebendigen Menschen gespielt habe, kenne ich mich da besser aus. Und dadurch fühle ich mich da auch richtiger, kann das auch besser beeinflussen. Bei Film oder Fernsehen geht das nicht so.
Und doch werden Sie gerade durch Ihre Fernsehrolle überall erkannt.
Großmann: Meistens ist es angenehm, oft wollen Leute mich aber auch anfassen, in den Arm nehmen. Das finde ich schon unangenehm.
Woran arbeiten Sie aktuell?
Großmann: Dreharbeiten für den Tatort, Lesungen in Berlin und andernorts, Sprachaufnahmen für eine Oper, ein Hörspiel in Baden Baden im Januar, „Richard III.“ in Frankfurt im Februar, „Ödipus Rex“ im April.
Wie feiern Sie Ihren runden Geburtstag?
Großmann: Ich verreise mit meiner Tochter. Ich habe dieses Jahr zu viel gearbeitet. Aber ein paar Texte habe ich natürlich dabei - wie immer.
Wie war es als Kind, immer kurz vor Heiligabend Geburtstag zu haben?
Großmann: Das ist nicht schön. Wie wir wissen, hat keiner vor Weihnachten Zeit, auch heute nicht.