Mehr als 50.000 Wuppertaler leben von Hartz IV
Der CDU-Politiker Jens Spahn hat eine Diskussion über Armut und Hartz IV ausgelöst. Die WZ nennt die Zahlen und Trends für Wuppertal und ordnet die Fakten ein.
Der designierte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat mit seiner Bemerkung, der Bezug von Hartz IV sei nicht gleichbedeutend mit Armut, einen Proteststurm ausgelöst. Spahn wird dafür nicht nur von der Opposition, sondern auch aus den eigenen politischen Reihen kritisiert. Um die Lebenswirklichkeit der Hartz IV-Empfänger kennenzulernen, werden dem Politiker sogar Armuts-Praktika empfohlen. In Wuppertal würde Spahn fündig: 50.252 Personen leben in der Stadt in 24.678 sogenannten Bedarfsgemeinschaften (Stand: Februar 2018). Damit ist fast jeder siebte Wuppertaler auf staatliche Hilfe angewiesen. Weitere 6000 Menschen erhalten Unterstützung zur Grundsicherung im Alter. Im vergangenen Jahr hat das Jobcenter 344,2 Millionen Euro für Arbeitslosengeld, Kosten der Unterkunft oder Eingliederungsleistungen eingesetzt.
Aufgrund der anhaltend guten Konjunktur und der wachsenden Zahl von Menschen in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen (125.000) sind die Zahlen der Bedarfsempfänger wieder leicht rückläufig. Ohne die 8000 Menschen, darunter 6500 aus Syrien, die seit der Flüchtlingskrise 2015 in die Stadt gekommen sind, hätte Wuppertal sogar aktuell den niedrigsten Stand bei den Bedarfsgemeinschaften seit 2005.
Laut Alexander Kletzander, Vorstand Arbeitsmarkt und Kommunikation beim Jobcenter, erhält in Wuppertal die Hälfte der Hartz-IV-Empfänger bereits länger als vier Jahre diese Unterstützung. Das Problem der Arbeitslosigkeit hat sich in vielen Wuppertaler Familien über Generationen also verfestigt. Hartz IV ist für diese Gruppe praktisch zum einzigen Mittel der Existenzsicherung geworden, was nicht dem eigentlichen Zweck entspricht. „Grundsätzlich ist Hartz IV als Übergangshilfe gedacht. Es gibt Menschen, die kommen damit zurecht, andere nicht. Es ist kein gutes Leben möglich, aber eines, in dem die Existenz gesichert ist. Es soll eine soziale Teilhabe möglich sein“, sagt Kletzander.
Für Sozialdezernent Stefan Kühn steht im Gegensatz zu Jens Spahn außer Frage, dass Hartz IV mit Armut gleichzusetzen ist. „Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in seinem jeweiligen Land erhält, der ist nach der Definition der Europäischen Union arm. Der Hartz-IV-Satz liegt darunter. Wer das bestreitet, hat keine Ahnung“, sagt Stefan Kühn.
Eine Anhebung der Hartz-IV-Sätze, so Kühn, sei nicht die Lösung, sondern nur die „Behandlung von Symptomen“. „Damit wäre nichts erreicht. Wir müssen Arbeitsplätze schaffen. Wir benötigen gute Tariflöhne. Es gibt noch immer 50 Tarifabschlüsse mit Löhnen unter zehn Euro pro Stunde. Wir müssen Kitas und Offene Ganztagsschulen bauen, damit in den Familien beide Erziehungsberechtigte einer Arbeit nachgehen können.“
Oberbürgermeister Andreas Mucke hat keinen Zweifel daran, dass Hartz IV ein Leben in Armut bedeutet. „Das ist Fakt für viele Menschen, die alleine leben oder als Alleinerziehende mühsam über die Runden kommen müssen. Vom Regelsatz müssen die täglichen Ausgaben bestritten werden, aber es kommen Kosten für Medikamente, Versicherungen oder die Freizeit hinzu“, sagt Mucke.
In dem von ihm angestoßenen Bündnis gegen Armut spiele die Prävention bei Kindern und Jugendlichen eine entscheidende Rolle. „Ein Hebel sind mehr Arbeitsplätze. Wir müssen zudem junge Menschen besser qualifizieren, es darf nicht jeder Zehnte ohne Schulabschluss bleiben. Die beste Sicherung gegen Arbeitslosigkeit ist eine gute Ausbildung.“