Mordprozess nach 25 Jahren: Traurige Kindheit, aber voll schuldfähig

Andreas O. (48) soll vor 25 Jahren in Sprockhövel einen Mann getötet haben. Nun berichtet er aus seinem Leben: Als Kind sei er vom eigenen Vater vergewaltigt worden.

Essen/Sprockhövel/Wuppertal. Leben, Persönlichkeit und Schuldfähigkeit des Andreas O. (48) standen vor dem Essener Schwurgericht im Mittelpunkt des dritten Prozesstages. Der gebürtige Wuppertaler ist angeklagt, vor 25 Jahren auf dem Wanderer-Parkplatz "Hilgenpütt" in Sprockhövel einen 39-jährigen Handelsvertreter ermordet zu haben.

Richter Andreas Labentz erteilte am Schluss des vorletzten Verhandlungstages den Hinweis, dass neben den beiden Mordmerkmalen Habgier und Heimtücke auch ein drittes in Betracht kommt: Mord zur Verdeckung einer anderen Straftat - nämlich den Einsatz von Waffengewalt.

Diesen Hinweis nahm der Angeklagte äußerlich unbewegt hin. Emotionen zeigte der 48-Jährige hingegen, als er seinen Lebenslauf schilderte. Während Psychiater Michael Lasar sein Gutachten erstattete, wischte sich Andreas O. immer wieder die Tränen aus dem Gesicht.

Der Angeklagte berichtete von einer düsteren, traurigen und schmerzhaften Kindheit. Erinnerungen, die er in der Haft auf 52 Papierseiten schriftlich niedergelegt hat. Eine Kindheit in Armut und beengten Verhältnissen, die sich erst mit wachsender Zahl der Geschwister langsam gebessert hätten. Eine Kindheit mit einem Vater, der viel trank und dann gewalttätig wurde. Über mehrere Jahre sei er von seinem Vater sexuell missbraucht worden, berichtete der 48-Jährige. Vielleicht verbinde er Sexualität deshalb mit "Schmerz, Schmutz und Erniedrigung", hatte er dem Gutachter gesagt.

Nach der Trennung der Eltern habe er die Verantwortung als Familienoberhaupt übernommen und auch ohne abgeschlossene Berufsausbildung immer gearbeitet. "Irgendwie ist mein Leben auf der Strecke geblieben", schluchzte der Angeklagte.

1998 packte er von einen Tag auf den anderen Tag seine Sachen, ging zuerst nach Neuseeland, dann nach Thailand. "Warum ein solcher Einschnitt?", fragte Richter Labentz. "Dazu möchte ich nichts sagen", antwortete der Angeklagte. Mit der Tat habe das nichts zu tun gehabt. Er habe nur der Entwicklung seiner Schwester, mit der er längere Zeit eine Wohnung teilte, nicht im Wege stehen wollen.

In Thailand begann er sich für Buddhismus zu interessieren, kam als Mönch 2005 zurück nach Deutschland, lebte wieder bei seiner Schwester und deren Familie. "Ich wollte eigentlich nur fünf Jahre bleiben, in dieser Zeit sparen, mich richtig verabschieden und für immer fortgehen", erzählte Andreas O. von seinen gescheiterten Plänen. Im Januar wurde er verhaftet, nachdem ihn sein Bruder, der vor 25 Jahren Augenzeuge der Mordtat war, angezeigt hatte.

Trotz des schwierigen Lebensweges war der Angeklagte zur Tatzeit voll schuldfähig, befand Psychiater Michael Lasar. Dass er sich jetzt nicht an den genauen Hergang und das Messer erinnern könne, sei verständlich und eine "vernünftige Reaktion der Psyche". Die Belastung des Angeklagten sei jetzt schon zu groß. Der Gutachter: "Die Kiste der Pandora muss zu bleiben."