Hintergrund Nach Bluttat an Gymnasium in Wuppertal: Das ist das Urteil – und so ist es zu verstehen

Wuppertal · Der 17-Jährige, der vor einem halben Jahr vier Mitschüler am Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium in Wuppertal mit einem Messer verletzt hat, ist verurteilt worden. Der Hintergrund.

Foto: Daniel Neukirchen

Zu zwei Jahren und zehn Monaten Jugendstrafe hat das Landgericht gestern den Schüler (17) verurteilt, der im Februar am Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium (WDG) vier Mitschüler mit einem Messer angegriffen hat. Das Gericht sprach ihn des versuchten Mordes in drei Fallen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, sowie einer weiteren gefährlichen Körperverletzung schuldig, ging dabei von verminderter Schuldfähigkeit aus, erklärte Gerichtssprecherin Helena Salamon-Limberg nach der Urteilsverkündung.

Der Jugendliche, der seit der Tat erst im Krankenhaus, dann in Untersuchungshaft war, ist nun zunächst auf freiem Fuß, muss seine Haftstrafe erst antreten wenn das Urteil rechtskräftig geworden ist. Sein Verteidiger Mustafa Kaplan sagte auf dem Gerichtsflur, man habe jetzt eine Woche Zeit, um in Ruhe zu überlegen, ob man in Revision gehe. Er halte das Urteil für milde für die Einordnung als versuchter Mord. „Ich hätte es mir nur noch milder gewünscht.“ Denn er sehe die Taten als gefährliche Körperverletzung, „dann wäre auch eine Bewährungsstrafe möglich gewesen“.

Arg- und wehrlose
Schüler angegriffen

Er lobte die „absolut respektvolle Verhandlungsführung“ und sprach dafür „großen Dank an den Vorsitzenden“ aus. Jetzt seien alle erst einmal froh, dass der 17-Jährige wieder zu seiner Familie könne. „Wir werden das Geschehen nun erst einmal sacken lassen und verarbeiten.“

Die Hauptverhandlung hat wegen des jugendlichen Alters des Angeklagten ohne Öffentlichkeit stattgefunden. Zum Abschluss sah es das Gericht als erwiesen an, dass der Schüler am Morgen des 22. Februar gegen 9.50 Uhr im Aufenthaltsraum der Oberstufe nacheinander mit einem Messer auf vier Mitschüler eingestochen hat. Die ersten drei Angriffe wertete das Gericht als versuchten Mord. Denn er habe die drei arg- und wehrlosen Mitschüler mit Wucht angegriffen, als diese ihm den Rücken zukehrten. Sie erlitten dadurch Stichverletzungen im Nacken und am Kopf. Nach Ansicht des Gericht hat der Jugendliche dabei den möglichen Tod der Mitschüler billigend in Kauf genommen. Den vierten Mitschüler habe er von vorn angegriffen und die Stiche mit weniger Kraft ausgeführt, so dass das Gericht in diesem Fall keinen Tötungsvorsatz mehr sah.

Wegen des Alters des Angeklagten wurde er nach Jugendstrafrecht behandelt. Das Gericht verurteilte ihn zu einer Strafe um unteren Bereich des möglichen Strafrahmens, weil viele Umstände für ihn sprachen, erläuterte die Gerichtssprecherin. Dazu zählten unter anderem die vergleichsweise geringen Folgen der Taten und, dass er sich zur Tatzeit in einer persönlichen Ausnahmesituation befand. Das Gericht, das durch eine psychiatrische Gutachterin beraten war, ging davon aus, dass der 17-Jährige zum Zeitpunkt der Tat vermindert schuldfähig war.

Zu dieser Ausnahmesituation erklärte Verteidiger Mustafa Kaplan: „Da ist vieles zusammengekommen.“ Sein Mandant habe sich selbst über lange Zeit sehr unter Druck gesetzt, sich keine Freizeit gegönnt, habe ein enges Familienmitglied durch eine Gewalttat verloren und dann habe es am Tattag einen kleinen Streit mit Mitschülern gegeben. „Das war einfach alles zu viel, er ist nicht damit zurechtgekommen.“ Sein Mandant habe die Verantwortung für die Taten übernommen, sich auch bei allen betroffenen Mitschülern entschuldigt. Mit dreien von ihnen habe es einen sogenannten Täter-Opfer-Ausgleich gegeben.

Einweisung in die Psychiatrie
„wäre der falsche Weg gewesen“

Ob der 17-Jährige wegen einer möglichen psychischen Erkrankung in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden müsse, sei zwar im Verfahren Thema gewesen, bestätigte der Anwalt. Aber er habe das von Anfang an als völlig falschen Weg angesehen: „Er war vorher nie auffällig, es passt auch nicht zu seinem Wesen. Das war ein einmaliger, ganz kurzer Ausraster. Er ist schnell wieder ruhig geworden.“ So habe der Schüler den Lehrer, der kurz nach den Attacken in den Oberstufenraum kam, gebeten, ihn zu umarmen und zu trösten. Kaplan erklärte, jetzt stehe für seinen Mandanten an erster Stelle, eine Psychotherapie zu beginnen, um sicher zu stellen, dass er in Zukunft besser mit Konflikten, auch inneren Konflikten umgehen kann.

Ein Versuch, mit solchen Konflikten umzugehen, sei gewesen, sie niederzuschreiben, um wieder ruhig zu werden. Das habe er auch am Tattag versucht, aber das sei ihm in der Situation nicht gelungen: „Er hat nur wirres Zeug geschrieben“, so der Anwalt. Dieses Schreiben sei das gewesen, was dann als „Bekennerschreiben“ bezeichnet wurde, was es aber nicht gewesen sei: „Es gibt kein Bekennerschreiben.“

Der Messerangriff hatte einen Amok-Alarm und einen SEK-Einsatz an der Schule zur Folge, was bundesweit Schlagzeilen machte. Die verletzten Schüler waren noch am gleichen Tag wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden, schwer verletzt hatte sich aber der 17-Jährige selbst, der sich mit dem Messer in die Brust gestochen hatte.