Sakrale Musik vor Industriekulisse
Experiment geglückt: Werner Dickel ließ die Wuppertaler Kammerphilharmonie in einer ehemaligen Produktionshalle spielen.
Wuppertal. Dort an der Uellendahler Straße, wo die Firma Quante einmal ihre Fernmeldeanlagen herstellte, soll in einer ehemaligen Produktionshalle Giovanni Battista Pergolesis „Stabat Mater“ aufgeführt werden? Nicht, wie es sich eigentlich gehört, in einem Sakralbau? Und dann auch noch die meditativen „Night Prayers“ (Nachtgebete) aus der Feder des zeitgenössichen georgischen Komponisten Giya Kantscheli? Werner Dickel hatte den Mut, es mit seiner Kammerphilharmonie Wuppertal zu wagen. Und siehe da, es klappte wunderbar.
Heimelig ist die Atmosphäre wahrlich nicht. Die Flure haben ihre besten Zeiten hinter sich. An einer Tür klebt ein Hinweis, dass sich dahinter die Werkstätten der Wuppertaler Bühnen befinden. In der Halle vor der Veranstaltungslokalität stapeln sich wie bestellt und nicht abgeholt Transportkisten und Bühnentraversen. Einfache Tische dienen als Abendkasse und Getränkestand.
Der Ort des Geschehens selber — in schummriges Licht eingetaucht — ist voller Hinterlassenschaften aus Robert Sturms Inszenierung von William Shakespeares „Romeo und Julia“. Darunter auch die alte Bühne, die zum Konzertpodium umfunktioniert wurde. Doch dieses schmuddelige Am-biente machte gar nichts aus. Die Neugier war viel größer. So fanden viele Anhänger der Jazz- und Klassikszene, Freunde barocker, moderner und gediegener vokaler Musik auf dem heutigen Areal der Firma Riedel Communications in die Halle V und wurden musikalisch überhaupt nicht enttäuscht. Pergolesis Vertonung des mittelalterlichen Gedichts über Marias Schmerzen um ihren gekreuzigten Sohn Jesus kam in einer einfachen Streicherbesetzung und professionellem Continuospiel, abgesehen von kleinen Wacklern am Anfang, lupenrein von der Bühne. Zudem faszinierten Sopranistin Dorothea Brandt und Altistin Joslyn Rechter — bis vor zwei Jahren gefeierte Mitglieder an der Wuppertaler Oper — als hervorragende Konzertsängerinnen und in allen Belangen vorzügliches Duo.
Ebenso machte die Wuppertaler Kurrende als in dieser Stadt fest verankerte Kulturinstitution dem Abend alle Ehre, indem sie drei ihrer hohen Altisten bei drei Vertonungen von Shakespeare-Sonetten für Knaben-Sopran und Streichorchester mitmachen ließ. Denn Johannes Dahm, Finn Gross und Jonas Wunderlich als Trio gestalteten ihre manchmal nicht leichten Passagen der neuen Tonschöpfung mit ihren vielen tonalen Bezügen des Wuppertaler Saxophonisten und Komponisten Wolfgang Schmidtke souverän und ungemein gehaltvoll.
Hier wie auch bei Kantschelis Nachtgebeten überzeugte das Streichorchester mit dreifach besetzten ersten und zweiten Geigen, Bratschen und Celli so-wie einem Kontrabass unter Dickels umsichtiger Leitung mit sensiblen, nuancierten Klängen. Nach anfänglichen Problemen kamen dazu die elektronischen Klänge wohl dosiert aus den Lautsprechern. Schmidtke sorgte am Sopransaxophon für tolle kontemplative wie expressive Töne.
Auch Schauspieler Jörg Reimers — einstiges beliebtes Mitglied des Wuppertaler Theaters — war bestens disponiert, demonstrierte erstklassige Rezitationskunst bei Schmidtkes „Faust Fragementen“. Seine Vorträge korrespondierten exzellent mit der schattierungsreichen Musik, von Dickel an der Bratsche und Schmidtke am Sopransaxophon intensiv und dicht gespielt.
Carolin Pooks minimalistische Musik „Walk. Run. Jump. Fly. See“ für zwei Geigen rundete das kurzweilige Konzert ab. Denn sie und Lola Rubio intonierten sie auch darstellerisch sehr elektrisierend. So war es kein Wunder, dass dieses außergewöhnliche Programm an diesem ungewöhnlichen Ort auf begeisterten Zuspruch stieß.