Schauspiel Dieser Traum ist ein Alptraum

Schauspiel Wuppertal bringt Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ auf die Bühne des Theaters am Engelsgarten

 Sie scheitern am Leben: (v.l.) Konstantin Rickert (Happy), Thomas Braus (Willy), Alexander Peiler (Biff) und Luise Kinner (Linda).

Sie scheitern am Leben: (v.l.) Konstantin Rickert (Happy), Thomas Braus (Willy), Alexander Peiler (Biff) und Luise Kinner (Linda).

Foto: Uwe Schinkel /Schauspiel Wuppertal/Uwe Schinkel

Dieser Stoff ist nichts für zarte Seelen. Er löst auch nach mehr als 70 Jahren Beklemmungen aus. Arthur Millers bekanntestes Drama „Tod eines Handlungsreisenden“ entlarvt   den amerikanischen Traum als Alptraum, in dem nur der zählt, der (sich) gut verkaufen kann.

Selbstoptimierung und Angst vor Arbeitslosigkeit und gesellschaftlichem Abstieg aber sind zeitlose Themen in der kapitalistischen Wertewelt, die gerade in der Coronakrise auf den Prüfstand geraten ist. Der Lockdown mit seinen Abstandsregeln legt Einsamkeit und Entfremdung obendrauf, wirft die Menschen auf sich selbst zurück. Das Wuppertaler Schauspielensemble zeigte am Mittwochabend seine Version des unter die Haut gehenden Stoffs, der im Amerika des Jahres 1949 spielt und entstand.

Die Geschichte des Handlungsreisenden Willy Loman machte Miller   berühmt, verhalf ihm noch im  Jahr ihres Erscheinens zum Pulitzer-Preis. Sein Theater-Klassiker wurde unter anderem mit Dustin Hoffman (1985) und mit Heinz Rühmann (1968) verfilmt. Es geht um den kleinen (low gleich niedrig) Mann, der am amerikanischen Traum aus Glück und finanziellem Erfolg scheitert. Der nach 36 Jahren als reisender Vertreter Schulden hat und entlassen wird. Der seine Hoffnungen auf seine erwachsenen Söhne Biff und Happy projiziert. Der nicht in der Lage ist, die Wahrheit seiner Frau Linda und sich selbst einzugestehen. Der lieber sein Leben für nutzlos und seinen Tod für sinnvoll erachtet, weil dieser zur Auszahlung einer 20 000 Dollar schweren Lebensversicherung an die Familie führen soll.

Keiner hat eine Chance: das Leben nicht, die Wahrheit nicht, die Menschen nicht und die Sprache erst recht nicht. Es wird nach Worten gerungen, beschimpft, geschrien, bis garantiert kein Wort mehr auch nur akustisch zu verstehen ist, es werden Selbstgespräche geführt und immer wieder unheilvoll geschwiegen. Auch wenn deutliche, verletzende Worte fallen, ist und bleibt die Verständigung gestört. Dabei üben alle aufeinander Druck aus, mit ihren Erwartungen, verdrängten Ängsten, ihrem krampfhaften Bemühen, den anderen bis zur Selbstaufgabe zu schonen oder zum Überspielen des eigenen gefühlten Versagens zu bringen. Das alles ist schwer auszuhalten – für Akteure wie Zuschauer.

Die Inszenierung ist
direkt und trifft

Jakob Fedlers Inszenierung verzichtet auf Ausschmückung, ist direkt und trifft. Er stellt allein die Schauspieler in den Mittelpunkt, die die ganze traurige Verlogenheit ihrer Figuren glaubhaft in Wort, Ausdruck und Bewegung übersetzen. Allen voran Thomas Braus als Willy, dem der Schmerz über sein Scheitern an sich selbst ins Gesicht geschrieben steht. Alexander Peiler als Biff – ein kleiner, nach der Anerkennung seines Vaters lechzender Junge im großen, fremd wirkenden Körper. Konstantin Rickert als stets bemühter wie ebenso stets übersehener Bruder Happy, der seinem Namen alle Ehre machen will. Luise Kinner als Linda, die besonders stark wirkt, wenn sie Willy verteidigt und doch nichts begreift. Sowie Kevin Wilke, der als  Freund Charley und Chef Howard Willy  spiegelt, rettender Anker sein will oder die hässliche Fratze des Kapitalismus ist.

Dorien Thomsen lässt die Schauspieler bei kaltem Licht in einer kahlen, zugebauten und zugleich ausdruckslos wirkenden Kulisse spielen. Ein zweistöckiges Gerüst, mal Regal, mal Bett, mal Bühne, im Hintergrund und eine Couch davor sind Synonym für das unbehauste, leere Leben. Sie sind so breit wie die Bühne und stehen quer im Weg. Die Schauspieler müssen sie überwinden, erklimmen.

Ein glückliches Herz
gibt es nur in der Musik

Nur Linda nutzt die Couch manchmal als Sitz- oder Liegemöbel, um Willy zu umgarnen und mit aufgesetzt guter Stimmung von der Wahrheit abzulenken. Linda, die im Lamettafaden-Regen, der von der Decke herabhängt, auch mal mit Andy Williams’ „happy heart“-Song die Tristesse konterkariert und dadurch nur  betont. Die Show des Selbstbetrugs muss weitergehen  unter dem strahlenden Blick von Marilyn Monroe. Die Inkarnation des amerikanischen Traums klebt als riesiges Schwarzweiß-Foto an der Bühnenwand.

Coronabedingt durfte nur eine kleine Schar erlaubter Zuschauer   der knapp 90-minütigen Geisteraufführung im Theater am Engelsgarten beiwohnen. Nachdenklich und schweigsam verließ sie Abstand haltend das Haus. Ab 10. Oktober sind weitere Aufführungen vor mehr Publikum angesetzt.