Stadtteilführung: Vom Schlachtfeld zum Bahnhof der Utopien
Kapp-Putsch, Postler-Viertel und alte Fabriken: Spurensuche am Ostersbaum.
Ostersbaum. Am Frankenplatz beginnt die Zeitreise: Dort springt Stadtführer Jürgen Holzhauer fast ein ganzes Jahrhundert zurück und taucht in das Jahr 1920 ein. „Hier hat sich ein blutiger Kampf abgespielt. Allein 50 Zivilisten sind bei der Schlacht umgekommen“, erzählt Holzhauer. Er deutet auf Häuserwände, wo heute noch die verputzten Löcher der damaligen Einschüsse zu erkennen sind. Neugierig blicken sich seine Zuhörer um. Die Umgebung — das sogenannte Pelerinenviertel unterhalb der Hardt — liegt ihnen still zu Füßen. Kaum zu glauben, was sich auf dem grünen Fleckchen abgespielt haben soll.
Mit dem Rückblick auf die Kämpfe im Zuge des sogenannten Kapp-Putsches gegen die Weimarer Republik vor nunmehr 93 Jahren ist Stadtführer Holzhauer die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer sicher. Ein gutes Dutzend hat sich am Morgen bei Sonnenschein gut gelaunt auf den Weg durch die Nordstadt gemacht — auf eine neue Route des Wuppertal Marketings, die über den Platz der Republik bis zum Mirker Bahnhof führt.
Aber warum Pelerinenviertel? „Hier haben überwiegend Postbeamte gewohnt, die gerne in ihren langen und vor Regen schützenden Umhängen wandelten“, erklärt Jürgen Holzhauer. Das Bild der Postler wurde zum Namensgeber des um 1913 gegründeten Quartiers. Von dort aus geht es über die Weißenburgstraße vorbei am alten Jüdischen Friedhof. „Dort liegen die Ahnen von Else Lasker-Schüler“, verrät Holzhauer.
Am Platz der Republik angekommen, fällt der Blick über ein weitläufiges Gelände. Das sei im Volksmund noch als „Exer“ bekannt — die Abkürzung für „Exerzierplatz“. Der Name steht für die ursprüngliche Nutzung des weitläufigen Geländes auf dem Engelnberg, wo seit den 1820er Jahren zunächst die Landwehr gedrillt wurde. Jürgen Holzhauer: „Hier hat das Militär früher schon heftig geprobt.“ Heute spielen dort vorzugsweise die Kinder des Viertels.
Gesäumt wird er von alten Häusern mit Stuckfassaden und der von einem Türmchen gekrönten Engelnburg. Auf dem Weg zum Mirker Freibad ein weiterer optischer Höhepunkt: Die Huppertsbergfabrik. Die preußische Fabrikarchitektur fasziniert auch Gabriele Speckmann, Teilnehmerin der Stadtführung: „Ich bin hier aufgewachsen und habe viele Kindheitserinnerungen.“ Nach guten zwei Stunden kommt die Wandergesellschaft in Utopiastadt am Bahnhof Mirke an. Früher sollte dieser ein Gegenstück zum heutigen Elberfelder Hauptbahnhof werden — heute werden hier regelmäßig am Rande der Nordbahntrasse Kunst- und Kulturprojekte aufs Gleis gesetzt.