Soziales Streit um Kirchenasyl in Wuppertal
Wuppertal · Abgeordneter Jürgen Hardt (CDU) hatte die Praxis der evangelischen Kirche kritisiert. Diese wehrt sich.
Die Diskussion um das Thema Kirchenasyl in Wuppertal heizt sich auf. Nachdem sich CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Hardt (Wahlkreis Wuppertal II) beim Neujahrsempfang der CDU Ronsdorf offen gegen Kirchenasyl ausgesprochen hat, kontert jetzt die evangelische Kirche. „Wenn jemand behauptet, dass die Kirche am Staat vorbei agiert, stimmt das schlichtweg nicht“, sagt Jens Peter Iven, Sprecher der evangelischen Kirche im Rheinland. „Wir verstecken keine Menschen im Kohlenkeller.“ Jochen Denker, Synodalassessor des Kirchenkreises Wuppertal, stellt sich ebenso gegen die kritischen Äußerungen Hardts. Er sagt: „Wenn ich etwas nicht leiden kann, dann die Grundhaltung, dass gültiges Recht immer richtig sein muss.“
Das Thema kocht auch hoch, weil immer mehr Menschen in Wuppertal den Wunsch nach Kirchenasyl äußern. Das berichtet die Flüchtlingsberatung der Diakonie. In Wuppertal ist Kirchenasyl vonseiten des evangelischen Kirchenkreises gelebte Praxis. Das sieht nicht nur Hardt kritisch. Auch der katholische Pastoralreferent Werner Kleine findet: „Da wird das System unterlaufen.“ Ihm seien in Wuppertal Fälle bekannt, bei denen die Kirche Menschen aufgenommen hat, ohne die Ämter zu informieren.
Unfairer Vorteil für
einzelne Personen?
Seit 2015 hat die evangelische Kirche in Wuppertal nach Angaben der Diakonie zwölf Migranten Kirchenasyl gewährt. Das bedeutet: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wollte diese Menschen abschieben, die Kirche hat sie in den Räumen einer Gemeinde aufgenommen und so dem Zugriff durch den Staat entzogen. Eigentlich kann sie das gar nicht, allerdings wird Kirchenasyl hierzulande in den allermeisten Fällen still geduldet, obwohl es dafür keine Rechtsgrundlage gibt.
Bundestagsabgeordneter Jürgen Hardt findet genau das nicht korrekt: „Bevor jemand abgeschoben wird, gibt es eine Fülle von rechtlichen Prüfungen.“ Es sei in der Praxis eher so, dass der Staat zugunsten des Geflüchteten entscheidet. Auch gibt er zu bedenken, dass den beteiligten Dritten möglicherweise nicht immer alle Informationen bekannt sind, die die Behördenentscheidung begründen. Etwa, wenn eine Straftat vorliegt. Zudem bezeichnet er das Vorgehen als ungerecht: „Da wird einer einzelnen Person im Rechtsstaat ein Vorteil geschaffen, den 1000 andere nicht haben.“
Pfarrer Jochen Denker sieht genau wie Kirchen-Sprecher Iven aber im Kirchenasyl eine wichtige Ergänzung zum geltenden Gesetz: „Das Ziel ist es, dem Rechtsstaat aufzuhelfen, nicht ihn zu unterlaufen.“ Ja, die Kirche verstoße gegen ein Gesetz, sie tue dies aber transparent, sagt Denker. So werde beispielsweise dem Bundesamt für Migration und den örtlichen Ausländerbehörden offen die Information gegeben, dass sich die gesuchte Person aktuell in Obhut einer Gemeinde befindet.
Doch warum glaubt der Kirchenkreis überhaupt, Abschiebungen verhindern zu müssen? Hintergrund ist die Dublin-III-Verordnung der EU, die für das Bundesamt für Migration die Grundlage dafür darstellt, Geflüchtete in das Land zurückzuschicken, in dem sie europäischen Grund betreten haben - meist Italien, Spanien oder Griechenland. Diese Abschiebung aus formalen Gründen will die evangelische Kirche in Einzelfällen aus humanitären Aspekten verhindern. Denker spricht von einer „fairen Chance auf eine personenbezogene Prüfung des Asylantrags“. Dies passiere aber erst, nachdem der Staat maximal 18 Monate erfolglos versucht hat, den Geflüchteten gemäß der Dublin-Verordnung abzuschieben. Genau diese Zeit wird durch das Kirchenasyl erkauft - in allen zwölf jüngeren Wuppertaler Fällen erfolgreich. Ob dann der Asylantrag auch positiv entschieden wird, steht auf einem anderen Blatt. Doch Pfarrer Denker sagt: „Das ist kein Schnellschuss. Die Diakonie prüft, ob der Einzelfall Aussicht auf Erfolg hat.“
Dem Bundesamt für Migration sei das Schicksal des Einzelnen „egal“
An dieser Stelle setzt die Kritik des katholischen Pastoralreferenten Werner Kleine an: „Ein Pfarrer kann doch gar nicht genau auf so einen Fall schauen.“ Er sorgt sich darum, dass den Menschen eine falsche Hoffnung gemacht wird. Zumal Kirchenasyl für die Betroffenen auch eine enorme Belastung bedeute. „Man sperrt eine Person quasi bis zu 18 Monate freiwillig ein, denn auf der Straße kann sie die Polizei ja einfach aufgreifen“, schildert Kleine die schwierige Situation. Wie der Stadtdechant Bruno Kurth der WZ mitteilte, gehe die katholische Kirche in Wuppertal mit dem Instrument des Kirchenasyls „zurückhaltend“ um. Ihm seien keine Fälle aus jüngerer Zeit bekannt.
Maria Shakura von der Flüchtlingsberatung der Diakonie hält Kirchenasyl in besonderen Fällen für die „Ultima Ratio“. Sie kann von konkreten Schicksalen berichten. Etwa von dem eines Mannes, der schwer traumatisiert in die Beratung gekommen sei. „Er hat zwei Jahre Haft und Folter in Libyen erlebt.“ Durch die Abschiebung nach Dublin III habe ihm in Italien „ein Leben auf der Straße“ gedroht. In einem anderen Fall sollte ein Mann von seiner deutschen Freundin mit Kindern getrennt werden.
Dem Bundesamt sei das persönliche Schicksal der Geflüchteten zunächst „völlig egal“, dieses stelle nur rein formal fest: Es ist ein anderes Land zuständig. „Wir wollen aber, dass dieser Mensch ein faires Verfahren bekommt.“ Das könne aber erst passieren, wenn die Ausländerbehörde vor Ort im Anschluss an das Kirchenasyl den Einzelfall prüft und dabei Punkte wie eine Traumatisierung oder familiäre Härtefälle feststellt. Shakura sagt: „Das Dublin-Verfahren geht am Recht vorbei. Am Menschenrecht.“
Superintendentin Ilka Federschmidt, die an den Einzelfallentscheidungen des Kirchenasyls immer beteiligt wird, spricht sich für das gelebte System aus. Sie sagt: „Wir beanspruchen damit keinen rechtsfreien Raum. Die Gewährung von Kirchenasyl zielt darauf, die Behörden zu bewegen, noch einmal genau hinzusehen.“ Ohne das genaue Hinsehen funktioniere schließlich keine Nächstenliebe.