Tod einer Alkoholikerin
Warum eine 48-Jährige ihre Wohnung nicht verlassen sollte – und jetzt tot ist.
Wuppertal. Wie groß muss die Sucht sein, wenn eine erwachsene Frau mitten in der Nacht über die Brüstung eines Balkons im vierten Stock klettert? Sich ein Bettlaken als Sicherung umbindet, dann versucht, sich am dünnen Kabel einer Fernsehantenne abzuseilen? Neli W.war schwer alkoholkrank. Zweimal versuchte die 48-Jährige einen Entzug. Den letzten Aufenthalt in der Suchtklinik brach sie ab.
In der Nacht auf Sonntag will sie wieder trinken. Unbedingt. Doch die Tür ihrer 60-Quadratmeter-Wohnung im vierten Stock an der vierspurigen Westkotter Straße mitten im Wuppertaler Stadtteil Barmen ist verschlossen. Wahrscheinlich von einem Familienangehörigen, der ein neuerliches Alkohol-Drama um die 48-Jährige verhindern wollte. Doch Neli W. will raus. Um 22.40 Uhr geht sie auf den Balkon, steigt über das Geländer. Die 48-Jährige ist eine eher zierliche Person. Dennoch können weder das Kabel noch das Laken ihr Gewicht halten. Sie hat keine Chance. Die Nachbarin über ihr hört einen Schrei, dann einen dumpfen Schlag - weit unten. Zehn Meter tief ist Neli W.gefallen.
Passanten finden die Frau in einer Blutlache vor dem Haus - die Handtasche liegt neben ihr. Sie wollte ja ausgehen. Trinken. Minuten später kommt der Notarzt. Er kann nichts mehr für die Wuppertalerin tun, schließt ihre Augen. Ein Leichenwagen wird gerufen. Noch in der Nacht nimmt die Kripo die Ermittlungen auf.
Natürlich ist das alles ein großes Unglück. Aber ebenso selbstverständlich wird ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und der Freiheitsberaubung eingeleitet.
Auch wenn es wohl gut gemeint war, ist Neli W. offensichtlich eingesperrt worden. Im Fokus der Ermittler steht die Verwandschaft der alkoholkranken Frau. Möglicherweise hat sich Neli W.sogar freiwillig einschließen lassen. Staatsanwalt Rüdiger Ihl: "Dafür gibt es einige Anzeichen." Die Vernehmungen laufen noch.
Die 48-Jährige war erst vor einem Jahr in die anonyme Mietskaserne eingezogen. Kaum jemand der Bewohner kannte sie näher. Viel getrunken hat sie, und wechselnde Männerbekanntschaften hatte sie auch, berichten die Nachbarn.
"Die sind schon besoffen aus dem Bus gefallen", sagt eine Frau von gegenüber und zeigt auf die Haltestelle vor dem Haus. Szenen solcher Art waren wohl auch der Grund dafür, dass die volljährige Tochter von Neli W. vor gut zwei Monaten aus der Wohnung ihrer Mutter auszog.
Zuletzt sollen Möbel aus der Wohnung ihrer Mutter getragen worden sein. Wollte die 48-Jährige ausziehen oder wurde sie einfach nur ausgenommen? Niemand weiß es.
Die Wohnung des Opfers ist seit Montag versiegelt. Viele "Nachbarn" haben noch gar nicht mitbekommen, was da Sonntagnacht nebenan passiert ist. Manche wollen auch einfach nichts mit dem Drama zu tun haben. Den Blutfleck vor dem Haus hat auch am Vormittag danach noch niemand beseitigt.