Traumwelt und Logik im Gegensatz
Die Bühnen zeigen eine fesselnde Inszenierung von „Julietta“. Doch bei der Premiere im Opernhaus bleiben ungewohnt viele Plätze unbesetzt.
„Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.“ Gilt der Spruch auch für die Wuppertaler Lieb-haber des Musiktheaters? Jedenfalls sind bei der Premiere von Bohuslav Martinus dreiaktiger lyrischer Oper „Julietta“ aus dem Jahr 1938 viel mehr Stühle im Opernhaus nicht besetzt als gewohnt. Ja, sie ist vielen unbekannt. 1959, Martinus Todesjahr, erlebte sie in Wiesbaden ihre deutsche Erstaufführung. Danach verschwand das Stück vielerorts in der Versenkung. Erst seit einigen Jahren kommt zu Recht das abendfüllende Werk wieder erfolgreich auf die Bühnen, darunter die in Zürich, Genf, Bremen, Frankfurt am Main und Berlin. Und nun sorgt Wuppertals Opernintendant Berthold Schneider dafür, dass dieser surrealistische Stoff auch in Nordrhein-Westfalen präsentiert wird.
Die Musik war den Surrealisten zwar nicht wichtig. Erik Saties gelegentliche Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Fotografen, Filmregisseur, Maler und Objektkünstler Man Ray war eine Ausnahme. Doch Martinu war von dem Drama „Juliette, ou la Clé des songes“ von Georges Neveux so fasziniert, dass er davon ein Libretto erstellte und in neoklassizistische Töne fasste.
Das Regieteam Inga Levant (Inszenierung), Rafal Dziemidok (Choreographie), Jan Freese (Bühne) und Petra Korink (Bühne, Kostüme) hat sich viel einfallen lassen, um die unwirklich erscheinenden Welten auf einem Platz einer kleinen Stadt am Meer, in einem Wald und in einem Reise-Traumbüro einladend in Szene zu setzen. Das Outfit der agierenden Personen ist märchenhaft.
Nur Protagonist Michel kommt im seriösen Schwarz daher als äußeres Zeichen für seinen Realitätssinn, an dem er schließlich verzweifelt und scheitert. Erinnerungen an die griechische Mythologie wer-den wach, wenn im ersten Akt Julietta mit einer riesigen schwarzen Haarlockenmähne und einer Amphore in der Hand gleich einer Göttin im weißen Gewand aus einem antiken Brunnen emporkommt. Im Wald erscheint sie wie ein weltfremdes weibliches Wesen aus der Blumenkinderzeit in einem grün-gelben, eng anliegenden Fummel mit überdimensionierten Plateauschuhen. Reminiszenzen an die Arbeitsweise der Surrealisten, das Bewusstsein durch Traum, Schlaf oder Rauschmittel anzuschalten, gibt es auch, wenn geometrische, optische Täuschungsvideos auf die Bühne gebeamt werden. Zwischendurch bewegen sich die Figuren grotesk, wie fremdgesteuert.
Den in den ersten beiden Akten dargestellten unwirklichen Traumwelten, die natürlich keinen Sinn ergeben, steht der geschäftsmäßige, sachliche Erinnerungsverkäufer im Schlussakt entgegen. Hier werden die Wunschbilder gnadenlos bloßgestellt. Doch die Warnungen nützen Michel nichts, der sich angesichts Juliettas verführerischen Gesängen zu guter Letzt in Traumzustände verliert. Die Textverständlichkeit dieser deutschen Fassung wird bei „Julietta“ großgeschrieben. Dem tragen alle Sänger und der Damenchor der Wuppertaler Bühnen (Einstudierung: Markus Baisch) voll Rechnung. Sangmin Jeon als Michel verfügt über einen strahlenden Tenor. Ralitsa Ralinovas feenhafter Sopran passt exzellent zur Titelfigur. Auch die anderen Sängern gestalten gesanglich ihre vielen Rollen sehr ausdrucksstark.
Das Sinfonieorchester Wuppertal spielt unter Johannes Pells präzisem Dirigat die vielschichtigen Klangfarben außerordentlich nuanciert und lebendig auf, ist nur an ein paar Stellen gegenüber den Sängern eine Kleinigkeit zu laut.
Manche Jubelrufe während des Schlussapplauses muteten zwar wie die von Claqueuren an. Dessen ungeachtet waren sie ob der fesselnden Inszenierung gerechtfertigt, in der sich Traumwelt und Logik gegenseitig ausschließen. Einige, die damit nichts anfangen konnten, gingen in der Pause. Trotzdem sollte klar sein, dass die Surrealisten zwischen den beiden Weltkriegen mit solch einer Infragestellung einer schönen heilen Welt auch in der heutigen krisengebeutelten Zeit so oder ähnlich agieren könnten. Das kommt deutlich zum Ausdruck.