Offen gesagt Wechselbad der Gefühle
Wechselhafter können Gefühlsbäder kaum sein als in dieser Woche in Wuppertal. Ein einziger Tag hat die ganze Skala von Stolz und Glück bis Sorge und Verzweiflung abgebildet. Während in der Historischen Stadhalle 1000 Menschen den 10. Geburtstag der Junior Uni feierten, gingen in Elberfeld 1000 Bayer-Beschäftigte auf die Straße, aus Angst um ihre Arbeitsplätze.
Der Literatur-Nobelpreisträger Heinrich Böll hat einmal über Wuppertal gesagt, es sei eine Stadt, die sich nicht schminkt. Da war und ist etwas Wahres dran. Wuppertal ist auch eine Stadt, die sich nicht inszeniert. Jeden Tag kann es geschehen, dass ein Teil Wuppertals himmelhoch jauchzt, während der andere zu Tode betrübt ist. Der vergangene Montag war so ein Tag.
Der Kontrast zwischen der glanzvollen Junior Uni und der Hiobsbotschaft von Bayer ist auch deshalb so scharf, weil gerade Bayer mit seinem Forschungszentrum in Aprath und seiner hochmodernen Chemieküche in Elberfeld das Synonym für den langsamen, aber stetigen Aufschwung des Wirtschaftsstandortes Wuppertal gewesen ist. Die Zahl der Arbeitsplätze steigt, wenn auch ein wenig langsamer als anderswo. Aber sie steigt. Die Zahl der Arbeitslosen sinkt, wenn auch nicht so deutlich wie vielleicht in Dortmund und Düsseldorf. Aber die Vorzeichen stimmten in der jüngeren Vergangenheit.
Umso herber ist der Verlust von mindestens 750 Stellen unter dem Bayer-Kreuz. Denn es sind Arbeitsplätze von Frauen und Männern in der Chemiebranche, die zurecht im Verdacht steht, überdurchschnittlich gut zu bezahlen. Für Wuppertals Stadtkasse bedeutet das, weniger Anteil an der Einkommensteuer, für den Einzelhandel weniger Kaufkraft. Entscheidungen eines global agierenden Konzerns wirken sich bisweilen eben auch sehr lokal aus.
Die entstandene Situation lässt nun zwei Reaktionen zu. Entweder Wuppertal geht wieder in Sack und Asche, traut sich nichts zu und lässt die Dinge geschehen wie sie geschehen. Oder Wuppertal nimmt den Faden auf, den die Macher der Junior Uni vor zehn Jahren geknüpft haben. Ernst-Andreas Ziegler und seine zunächst wenigen Mitstreiter hatten im Grunde keine Chance. Kein Geld, kein Gebäude, keine Aussicht auf Erfolg. Zehn Jahre später ist die Junior Uni ein europaweit leuchtendes Beispiel für Kampfkraft, Engagement und den unbändigen Willen, scheinbar Unmögliches möglich zu machen. Dass all dies gegen den Widerstand aus Verwaltung und Politik gelang, lässt erahnen, was in dieser Stadt möglich ist, wenn Bürger, Politiker und Verwalter am selben Ende des Stranges ziehen.
Danach sieht es zwar noch nicht ganz aus. Aber es gibt immerhin Anzeichen dafür, dass Wuppertals Politiker wieder Politik machen wollen. Das gilt in besonderem Maße für die CDU, die im neu erwachten Tatendrang sogar eine Resolution gegen Bayer verfasst hat, die in ihrer Wortwahl auch mit der Forderung hätte enden können, Friedrich Engels umgehend zu exhumieren und zum Oberbürgermeister zu machen. Die Grünen, der neue Partner der CDU, waren jedenfalls angenehm überrascht. Andere Folgen der christdemokratischen Rückkehr ins politische Leben sind die Forderung nach einem kostenlosen Schulmittagessen für alle Kinder und die Absage des Radhauses. Es geht doch.
Das ist auch deshalb erwähenswert, weil Wuppertal nicht Düsseldorf ist und noch nicht einmal Monheim am Rhein. Es gibt nämlich auch Städte, die auf Rosen gebettet sind und sich selbst dann alles leisten können, wenn Politiker, Verwalter oder auch Bürger sich spinnefeind sind. Das kann Wuppertal sich nicht leisten. Dafür ist das Wechselbad der Gefühle in dieser Woche der Beleg. Die Junior Uni beweist, was bürgerliches Engagement bewirken kann, wenn es die Hürden von Politik und Verwaltung überwunden hat, und Bayer gibt ein untrügliches Zeugnis dafür ab, dass Wuppertal sich auf Dritte nicht verlassen kann, auch wenn Geschichte, Tradition und wirtschaftlicher Erfolg genau dafür gesprochen hatten. Insofern macht der Sinneswandel der Ratsparteien Mut.
Die Lehre aus all dieser so wechselhaften Woche kann schließlich nur sein, dass Politiker und Stadtverwalter im Dialog mit Bürgern einen Fahrplan für Wuppertal entwickeln und diese trotz allem so liebenswerte Stadt auf ein Gleis setzen, das in die Zukunft führt. Wer das nicht aus Einsicht, Überzeugung, Gemeinsinn oder einfach aus gutem Willen machen kann, der sollte sich einfach einmal fragen, in was für einer Stadt er in zehn, 15 Jahren leben will.