Wenn die Bratäpfel tief fliegen

Jürgen Scheugenpflug ist Wuppertaler Kabarettist und Leiter der Kabarett-Academy. In seinem satirischen Wochen-Rückblick kommentiert er Ereignisse aus dem Stadtleben.

Je nach regionalem Dialekt spricht der Volksmund beim Krankheitsbild des Weihnachtsrausches auch von Heiligabend-Syndrom, pathologischer Advents-Schizophrenie oder christkindlicher Besinnungsmutation. Die Ansteckung mit dem Heile-Welt-Erreger kann durch den erstmaligen genüsslichen Verzehr von Dominosteinen im Spätsommer erfolgen - und wird in Wuppertal durch die verschiedensten Symptome deutlich. Als erheblich infiziert gelten Stadtratsmitglieder, die Millionen-Geschäfte absegnen ohne sie zu verstehen und dann mit Bratäpfeln um sich werfen, als wären dies Millionenforderungen aus misslungenen Cross-Border-Leasing-Geschäften.

Doch komplexe Budenzauber-Untersuchungen haben diese umsatzsteigernde Erkrankung auch auf das unternehmerische Verhalten einiger Marktkaufleute zurückgeführt. Wenn die Ratskollegen mit heißen und alkoholischen Getränken versorgt werden am Glühweinstand versorgt werden, da droht dem ein oder anderen ein Licht aufzugehen.

Aber, der Geist der Weihnacht hat sich in Wuppertal festgesetzt, vielleicht nicht unbedingt beim Kämmerer, dessen Knausrigkeit an Ebenezer Scrooge erinnert, aber Barmherzigkeit haben die Wuppertaler Bürger allemal nötig. So liegt denn unter dem bergischen Weihnachtsbaum leider nicht die sechste Gesamtschule und auch ein niedrigerer Gaspreis wurde zum Fest von den WSW nicht verpackt.

Aber, der Ton macht die Musik. Unvermeidbar ist die Abhängigkeit von exzessivem "Süßer-die-Glocken-nie-klingen"-Handytongebimmel, oft infolge gewohnheitsmäßigen Missbrauchs in Bus und Schwebebahn. Diese Begleiterscheinung, ein chronischer Tinnitus, gehört zum Krankheitsbild vieler Weihnachtsrauschiger, ebenso wie der Abbau jeglicher Hemmschwellen. Nicht selten wünscht sich der geplagte Schwebebahnpassagier einen Rauschgoldengel im Ohr, nur um das Gedudel nicht mehr zu hören.

Mit steigendem Alkoholpegel enden Weihnachtsallergien nicht selten in handgreiflichen Leibesübungen und damit im Gewahrsam der Polizei. Häufig kennzeichnen zudem weihnachtliche Versündigungsängste die Gemütslage der Lametta-Junkies, auch wenn das Bäuchlein schon vorher kugelrund war - nun soll also Weihnachten an allem schuld sein?

Es gibt jedoch Hoffnung: Nur wenige mutieren dauerhaft zum weihnachtlichen Pflegefall. Ihre krampfhafte Adventsbezogenheit verursacht ein Dahinsiechen nach dem letzten Öffnen des Türchens am Kalender. Eine vollkommene Heilung vom Weihnachtsrausch ist jedoch unwahrscheinlich. Dafür ist es einfach zu schön, wenn die Vorfreude sich mit der Realität am Heiligen Abend kreuzt. Aber spätestens Sylvester träumen wir dann vom neuen Opernhaus, einer deftigen Senkung der Gaspreise und freuen uns auf die Nordbahn-Trasse. Darauf sollten wir gemeinsam anstoßen.